Polizei-Geschichten
Frau und Kinder noch in der folgenden Nacht.
Den Eindruck schildern zu wollen, den diese Nachricht
auf Theresen machte, ist mir nicht möglich. Als sie aus
ihrem besinnungslosen Zustand erwachte, erfuhr sie, daß
sie fast zwei Monate krank, in fremder Pflege, darniederge-
legen hatte. Die Erinnerung an die Veranlassung hätte sie
beinahe von Neuem auf’s Krankenlager geworfen, und ihre
Auszehrung nahm seitdem einen schnelleren Gang an. Nur
der Gedanke an ihre Kinder hielt sie so weit noch aufrecht,
daß sie sich mühsam in ihrem Hauswesen dahinschlep-
pen konnte. Aber das Hauswesen selbst kam immer mehr
zurück. Es fehlte das Band des zufriedenen, wenn auch
noch so bescheidenen Glückes, welches das Ganze in Ord-
nung und schaffender Lust zusammenhält, und allmählig
ging auch der kleine Rest ihres früheren Vermögens, der
durch die Krankheit noch mehr geschmälert worden war,
gänzlich zur Neige. Therese duldete und zögerte in un-
gewisser, zager Erwartung lange Zeit; als sie aber keinen
anderen Ausweg sah, wendete sie sich, um Unterstützung
bittend, an — die Armendirektion. Hier stieß sie auf neue
Schwierigkeiten.
Der Gemeindevorstand bestritt ihre Heimathrechte am
Ort, da sie nach den Gesetzen des Landes durch ihre Ver-
heirathung an einen Ausländer derselben verlustig gegan-
gen sei. Es wurde daher erst mit den Heimathbehörden ih-
res verstorbenen Mannes eine ausführliche Korrespondenz
eröffnet, ihr selbst aber, auf ihr wiederholtes dringendes
Ersuchen, einstweilen und ein für alle Mal eine so kleine
Summe Geldes gereicht, daß die Familie kaum zwei Wo-
chen davon zu leben hatte.
Während dessen hatte sich auch ein früherer Bekannter
Pauls der Frau angenommen und durch eine Kollekte für
sie eine neue Summe zusammengebracht. Das Geschenk
war als augenblicklicher Nothbehelf recht ansehnlich, aber
zur Sicherung eines bessern zukünftigen Looses reichte
es entfernt nicht aus, und nach einigen Wochen mußte
die Lage der Unglücklichen wieder dieselbe sein. Therese
scheute sich ihre Wohlthäter abermals anzusprechen, und
nur spät auf mehrfache Versuche, nachdem ihre bitterliche
Noth erst geprüft und konstatirt worden war, erhielt sie
von der Armendirektion von Neuem eine kleine, mehr als
dürftige Unterstützung.
Das ist das ewige Geschick des Armen. Die Wohlthä-
tigkeit ist nur eine Grausamkeit, die ihn im Elend erhält
und durch das Gefühl seiner hülflosen, jedem Versuch
eigner Erhebung trotzenden Abhängigkeit entwürdigt und
demoralisirt.
Einige Zeit später treffen wir jene beiden Weiber wieder,
deren Gespräch wir oben schon einmal belauschten. Sie
stehen vor einer Hausthür und schauen dem schwarzen
Leichenwagen nach, der einfach und ohne Geleit die Straße
hinabfährt.
„Gott habe sie selig!“ sagt die Eine. „Es war doch eine
brave Frau, und es thut mir wahrhaftig leid um die armen
Kinder. Sie haben eine gute und rechtschaffene Mutter
verloren.“ —
„Ja, Gott verzeih’ ihr. Sie hat den dummen Streich, daß
sie den confiscirten Büchermacher geheirathet, schwer ge-
nug gebüßt! Was aber die Kinder betrifft, nun so ist ja das
eine schon versorgt, und die beiden andern werden wohl
auch noch unterkommen.“
„Ja, das älteste hat der Schuhmacher im Keller dort zu
sich genommen, die andern sind in’s Waisenhaus gebracht
worden.“ —
„Das hat lange genug gedauert. Der Magistrat wollte
nichts davon wissen, weil der Mann ein hergelaufener
Mensch war, und bei ihm zu Hause wollten sie auch nichts
damit zu thun haben. Also jetzt sind sie doch hier im Wai-
senhaus untergebracht.“ —
„Ja, die Stadt hat zuletzt für Alles aufkommen müs-
sen, auch für das Begräbniß der Frau. Nun, Gott hab’ sie
selig!“ —
So war es. Die Kinder im Waisenhaus und in fremder
Pflege, die Mutter auf öffentliche Kosten begraben, und
der Vater — nun, gute Nacht!
Das ist so eine Geschichte aus der deutschen „Heimath“.
Die Sünderin.
„Fremde Gesellen oder Dienstboten sind, wenn sie
in drei Tagen nach ihrer Ankunft keinen Dienst
finden oder nach ihrer Entlassung aus dem Dienst
sich drei Tage arbeitslos umhertreiben, sofort aus
der Stadt zu verweisen.“ —
Polizeireglement einer norddeutschen Residenz.
ie war noch immer sehr schön. In ihrem Antlitz lag
Sder Ausdruck jener madonnenhaften, jungfräulichen
Unschuld, mit der die christliche Mythe ihre Gottesmutter
ausmalt, jenes
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