Polizei-Geschichten
Kind. Sie betrach-
tete lachend und weinend in Freude die kleinen Züge ihres
Ebenbildes, kaum wagte sie aus liebender Besorgniß das-
selbe zu küssen und zu liebkosen, ihre selige Lust nahm
all ihr Denken und Sinnen gefangen. Umsonst suchte ihre
frühere Herrschaft sie zur Rückkehr zu bewegen, umsonst
stellten sie ihr vor, daß sie ja nicht im Stande sei, ihren
Unterhalt zu gewinnen: sie wollte sich nicht von ihrem
Kinde trennen, und nichts vermochte sie abzuhalten, ihm
selbst die Brust zu reichen. Ihre Zukunft kümmerte sie
nicht, — was würde denn auch ihre Zukunft ohne ihr Kind
sein?
Als sie zu der Frau gezogen war, hatte sie eine kleine
Summe mitgebracht, die sie sich aus Ersparnissen und
Weihnacht- und Neujahrgeschenken gesammelt hatte. Da
außerdem die Kosten ihrer Entbindung von den Wirthsleu-
ten bezahlt worden waren, so war sie für’s Erste im Stande,
bei der Frau noch eine Zeitlang ihren Aufenthalt nehmen
zu können. So blieb sie denn auch volle drei Monate hier,
einzig und allein für die Pflege ihres Kindes besorgt. End-
lich aber schwand auch der letzte Rest ihres kleinen Besit-
zes. Sie theilte dies offen ihrer Wirthin mit, und diese, wel-
che sie nun nicht länger behalten wollte, gab ihr den Rath,
sich zu einer ihrer Nachbarinnen, einer alten Wäscherin, zu
begeben, welcher sie dann Hülfe bei der Arbeit leisten solle.
Nach einigen Unterhandlungen zeigte sich die Wäscherin
auch dazu erbötig und Mathilde zog noch am selbigen Tage
mit ihren Habseligkeiten in die Wohnung derselben.
Ihre neue Wirthin war freundlich und zuvorkommend ge-
gen sie. Es war eine kleine, ältliche Frau von eben nicht
einnehmenden Zügen, aber Mathilde fühlte den mißtrau-
ischen Widerwillen, den ihr die Alte beim ersten Anblick
einflößte, bald wieder vor ihrem gutmüthigen Geschwätz
und ihrer hilfreichen Aufmerksamkeit für das Kind ver-
schwinden. Die Alte schaffte und sorgte für sie auf die be-
ste Weise. Nur über die Arbeit und den Verdienst klagte
sie beständig, und allerdings bemerkte Mathilde, daß die
Alte eben keine Beschäftigung hatte. Da suchte sie der Al-
ten Trost und Muth zuzusprechen, sie, deren eigne Lage
doch selbst der Hülfe so bedürftig war, — allein für was
hat ein glückliches Mutterherz keinen Trost? Da sie jung,
geschickt und arbeitsam war, so erbot sie sich, um sich
der Wirthin ebenfalls hülfreich zu zeigen, für fremde
Leute Näh- oder Stickarbeit zu machen, falls sie derglei-
chen Aufträge erhalten könnte. Die Alte war damit zufrie-
den, meinte aber doch gleich, daß das auch sehr ungewiß
sei.
Mittlerweile waren die ersten Tage dieser neuen Ein-
richtung verflossen. Da gegen Ende der Woche kam eines
Morgens die Alte ganz bestürzt in Mathildens Kammer,
und sagte, der Polizeikommissair sei unten und verlange
mit ihr zu sprechen. Mathilde erschrak, ohne eigentlich zu
wissen, warum, aber der bloße Name der Polizei genügt
bei den Armen und Hülflosen, um auch dem unschuldig-
sten, reinsten Gemüth Angst und Entsetzen einzujagen. Sie
warf ein Tuch über, bat die Alte bei dem Kinde zu bleiben,
und eilte mit einem in bebender Ahnung klopfenden Her-
zen hinunter zu dem Mann, in dessen Händen ihre ganze
Zukunft lag.
Der Polizeikommissair schien beim ersten Anblick von
dem Ausdruck ihrer kindlichen Züge, auf welchen sich
Scham und spannende Besorgniß malten, und von ihrem
ganzen sittsamen Wesen überrascht zu sein. Aber eine
lange Erfahrung hatte ihn mißtrauisch gegen das günstige
Vorurtheil eines solchen ersten Eindruckes gemacht, und
gleichsam um sein Gefühl zu bewältigen, wurde seine
Stimme noch rauher und mürrischer als sonst.
Er begann mit der Vorhaltung, daß sie nun schon län-
gere Zeit, als dies die Polizeivorschriften gestatteten, hier
bei der Alten wohne, ohne sich einen neuen Dienst zu
verschaffen, und fragte dann ziemlich grob: was sie denn
treibe? was sie überhaupt hier wolle?
Mathilde erzählte ihm mit befangener Stimme, auf wel-
che Weise sie zu der Alten gekommen sei, und wie sie ihr
die Kosten ihres Aufenthalts durch häusliche Arbeit und
Hülfleistung beim Waschen ersetzen wolle.
„Das sind faule Fische!“ erwiderte der Polizeibeamte
barsch. „Die Alte hat selbst nichts zu leben und die Wä-
scherei ist nur so ein fauler Vorwand. Die Vettel hat schon
zweimal im Arbeitshaus gesessen, und wenn sie nicht hier
geboren und heimisch wäre, würden wir sie schon
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