Polizei-Geschichten
die
Grenze. Diese Geschichte wiederholte sich noch einmal,
und wenn Paul nicht noch einige dreißig Mal ausgewiesen
wurde, so lag das einzig darin, daß er endlich die Gelegen-
heit dazu vermied. Sein Gemüth wurde allmählig furcht-
bar erbittert, und es läßt sich schwer beschreiben, was in
der Brust des Flüchtlings vorging, während er so gehetzt
von Stadt zu Stadt zog. Aber er bedurfte der Ruhe, und
wiewohl es ihm gar sauer erschien, beschoß er doch zu-
letzt, sich wieder in seine Heimath zu begeben, deren Ver-
hältnissen er entfremdet worden war. Er begab sich also
nach — Kurhessen.
Kurhessen ist ein schönes, deutsches Land. Es sind viel
brave Leute da gestorben, wie z. B. der Bürgermeister
Schomburg, viele auch nicht, wie die im vorigen Jahrhun-
dert nach Amerika versendeten Soldaten. In Kurhessen ist
Herr von Hassenpflug Minister gewesen, und Sylvester Jor-
dan nicht geboren.
Als Paul in diesem Lande angekommen war, miethete
er sich eine Wohnung, und schrieb seiner Frau, daß sie
ihre Sachen ordnen und ihm mit den Kindern nachkom-
men möge. Therese wurde von ihren Einrichtungen fast
zwei Monate zurückgehalten, da der Verkauf ihrer Möbeln,
die Vermiethung der Wohnung und ähnliche Anordnun-
gen ihr viel zu schaffen machten. Als sie bei ihrem Gatten
eintraf, war der Herbst eben angebrochen. Hier wurden die
Anstalten indeß schneller besorgt und die wiedervereinig-
ten Gatten begannen bald ihre Trennung in der freudigen
Zuversicht auf eine ruhige Zukunft zu verschmerzen. Aber
das Unglück, wenn es einmal ein Opfer erkoren, läßt sich
so leicht nicht von der Spur bringen.
In Pauls Vaterstadt befand sich unter den Gemeindevor-
ständen ein Mann, mit dem Paul zusammen die Schule und
Universität besucht hatte. Die beiden Gespielen waren ein-
ander früh entfremdet worden. Paul hatte sich von Anfang
an mit ausschließlichem Ernst seinen Studien zugewendet,
während der lebhafte Konrad den Freudenbecher des unge-
bundenen Studentenlebens bis auf die Hefe genoß. Sie sa-
hen sich dazumal schon selten. Ein tieferes Mißverhältniß
entstand aber, als Paul in Folge eines Zusammentreffens
mit einem andern Studenten sich weigerte, „loszugehen.“
Konrad hielt ihn von da an für einen Feigling und Heim-
tücker, und wenn sich die früheren Jugendgespielen auf der
Straße begegneten, gingen sie stumm an einander vorüber.
Später verloren sie sich aus den Augen. Paul siedelte nach
K., während Konrad in Staatsdienste trat. Er hatte in der
Residenz einen mächtigen Verwandten, dessen Protektion
ihn eine schnelle Karriere machen ließ. Gegenwärtig be-
kleidete er das oberste Gemeindeamt in seiner Vaterstadt,
und galt hier seiner persönlichen Stellung, wie seines wei-
tern Einflusses wegen für den angesehensten Mann. Als
Paul jetzt zurückkehrte, war der alte Groll zwar im Laufe
der Zeit ziemlich verdampft, aber eine leise Mißachtung
war doch in Konrads Herzen gegen den „Heimtücker“
geblieben. Da Paul keinen Schritt that, um sich dem ehe-
maligen Kameraden zu nähern, vielmehr als er Konrads
Stimmung erkannte, sich in kalte, fremde Gleichgültigkeit
zurückzog, so stieg in Konrad bald auch eine gewisse Eifer-
sucht auf sein bürgerliches Ansehen auf, und er wünschte
im Stillen eine Gelegenheit herbei, den zweideutigen Kalt-
sinn Pauls durch einen Beweis seiner Macht zu beugen.
Diese Gelegenheit wurde ihm, Dank einigen kleinen Be-
amtenseelen, ganz unerwartet schnell gegeben.
Eines Morgens erhielt Paul eine Zuschrift der städtischen
Polizei, worin er aufgefordert wurde, einen Heimathschein
für seine Frau und Kinder beizubringen, indem man ih-
nen nur gegen einen solchen Nachweis den Aufenthalt
gestatten dürfe. Paul war ziemlich entrüstet über diese
fortgesetzte „Plackerei,“ wie er meinte. Er schrieb an die
Behörde zurück, daß er selbst Heimathrechte am Ort be-
sitze, und daß es für seine Frau und Kinder wohl weiter
keiner Nachweise bedürfe. Nach Verlauf einiger Tage er-
hielt er eine neue Zuschrift, die ihn belehrte, daß seine
im Auslande ihm angetraute Gattin und deren Kinder kein
Heimathrecht am Ort hätten; daß man ihnen den Aufent-
halt nicht verweigern wolle, aber zuvörderst ihre Heimath
kennen müsse, damit sie bei eintretender Verarmung nicht
der Gemeinde zur Last fielen. Paul begann nun einzuse-
hen, von welcher Seite betrieben werde, und wendete sich
mit einer ausführlichen Beschwerde an
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