Polizei-Geschichten
hin. Um allen
weiteren Plackereien zu entgehen, wendete er sich nach
seiner Vaterstadt, begann hier wieder sein Geschäft, und
verheirathete sich bald darauf. Aber es wollte hier mit dem
Auskommen nicht recht gehn, sei es nun, daß in dem klei-
nen Orte überhaupt zu wenig zu verdienen war, sei es, daß
die Vergrößerung seines Haushaltes durch Frau und Kinder
allmählig zu bedeutende Kosten erheischte. Als ich mich
nach ein paar Jahren zufällig nach ihm erkundigte, hörte
ich, daß der sonst so aufgeweckte, joviale Mensch durch
sein Unglück gänzlich verändert und herabgekommen sei.
Zuletzt, als er sich gar nicht mehr zu helfen wußte, ver-
kaufte er den Rest seiner Habe, schloß sich einer Auswan-
derungs-Gesellschaft an, und ist jetzt vor einigen Wochen
mit Frau und Kindern nach Amerika gesegelt.“
„Und in Amerika wird der arme Teufel auch keine Seide
spinnen!“ sagte die Hausfrau, als der Referendar seine Er-
zählung beendigt hatte.
„Schwerlich, gnädige Frau!“ fügte der Erzähler hinzu.
„Es wird dem Einzelnen schon so schwer, sich in der Fremde
eine Stellung zu erringen, eine arme Familie aber geht dem
traurigsten Loos entgegen. Und doch haben sie dort noch
mehr Hoffnung, als hier, von wo sie nur die Verzweiflung
vertreibt. Man kann das Auswandern nie absolut verdam-
men, denn man weiß nicht, gegen welche unglücklichen
Verhältnisse die Armen in ihrer Heimath vergebens ange-
kämpft haben können, und der unglücklichen demoralisi-
renden Verhältnisse haben wir in der schönen Heimath so
viele.“ —
„Ja, dieser arme Schuster ist auch ein Opfer solcher Ver-
hältnisse geworden,“ sagte die Hausfrau. „Was meinen Sie,
Herr Kriminalrath?“ —
Der Kriminalrath zuckte die Achseln.
„Die Geschichte mag sich so verhalten,“ sagte er gleich-
gültig. „Es läßt sich aber wohl auch nicht vermeiden, daß
hin und wieder vielleicht Jemanden Unrecht geschieht,
und selbst die vorgesetzten Behörden nicht im Stande sind,
die Verhältnisse richtig zu erkennen. Das ist weiter nichts
Außerordentliches, und mag wohl öfter vorfallen, als man
es so erfährt.“ —
Vom heimathlosen Vaterland.
ohann Heinrich Ludwig Hanemann wurde im Jahre
J1803 in Hoya geboren, siedelte in einem Alter von
5 Jahren nach dem hannöverschen Städtchen Wunstorf im
Amt Blumenau, wo er bis zu seiner Konfirmation verblieb,
und begab sich dann, als er das Bäckergeschäft erlernt, im
Jahre 1819 nach Hamburg.
In Hamburg diente Hanemann im Ganzen zwei Mei-
stern, dem einen 9 ¾ Jahre, dem andern 3 Jahre, hatte zwar
inzwischen auch seiner Militairpflicht in Hannover zu ge-
nügen, kehrte aber bei jeder Beurlaubung nach Hamburg
zu seinem Geschäft zurück. Im Jahre 1832, nach mehr als
zehnjährigem Aufenthalt in Hamburg, welcher Zeitraum
nach den damaligen Gesetzen zur Heimathsberechtigung
genügte, verließ er seinen zweiten Meister, weil er sich ver-
heirathen und, zu unbemittelt, um Bäckermeister zu wer-
den, ein Kommissionsgeschäft anfangen wollte.
Hierzu mußte er das Hamburger Bürgerrecht gewinnen.
Da er die nöthigen Legitimationen nicht zur Hand hatte
und wahrscheinlich die Kosten der Herbeischaffung scheute,
so ließ er sich von einem Freunde bereden, die Papiere seines
so eben verstorbenen Bruders als die seinigen auszugeben.
Auf diese Papiere hin erhielt er das Hamburger Bürger-
recht.
Die Sache aber wurde verrathen, Hanemann zur Un-
tersuchung gezogen und auf Befehl des Senats polizeilich
verhört, jedoch von der Wedde wie von der Polizei ge-
schont. Dagegen erkannte der Senat unterm 29. August
1832 gegen ihn: daß ihm der Bürgerbrief abzunehmen, er
des Bürgerrechts verlustig, des Gebiets verwiesen, im Fall
der Rückkehr mit schärfster Strafe zu belegen, und sofort
von der Polizei aus der Stadt zu schaffen sei.
Hanemann begab sich hierauf nach Hameln, holte sei-
nen Militairfreischein, besorgte sich seinen Geburtschein
und erhielt auch ein Wanderbuch als Bäckergeselle. Dann
kehrte er in der Hoffnung, daß ihm auf diese seine, rich-
tigen Papiere das Bürgerrecht nicht verweigert werden
könne, nach Hamburg zurück.
In Hamburg angekommen wurde er sofort arretirt und
geschlossen
nach Hannover transportirt.
In Hannover verbot man ihm ebenfalls den Aufenthalt,
und zwar weil er durch Erlangung des Hamburger Bürger-
rechts seiner Heimathsangehörigkeit in Hannover verlustig
gegangen war.
Hanemann begab sich nunmehr nach
Weitere Kostenlose Bücher