Polizei-Geschichten
besuchen zu lassen. Das
schöne, junge Mädchen hatte längst in dem Städtchen die
Aufmerksamkeit der jungen Leute erregt, und wenn sie
sich an öffentlichen Orten zeigte, so war man gewohnt, die
Blicke und Lorgnetten vorzugsweise nach ihr gerichtet zu
sehen. Aber sie schien das nie zu bemerken, und auch dies-
mal war sie einzig mit der Vorstellung beschäftigt.
Als der junge Aurelio, wie der Kunstreiter genannt wurde,
den Circus betrat, begrüßte ihn der laute Beifall als das be-
ste Mitglied der Gesellschaft. Charlotte betrachtete den
schönen kräftigen Jüngling mit stiller Theilnahme, ihre Au-
gen folgten ihm in erhöhter Bewunderung, als er so leicht,
so keck auf seinem prächtigen Schimmel stehend dahinflog,
und ihr Herz schlug höher in ängstlicher Spannung, wenn er
seine verwegne Kunst in tollkühnem Stolz auf eine allzuge-
fährliche Probe zu stellen schien. Auch Aurelio schien bald
in dem Kreis der Zuschauer die schönste Blume herausge-
funden zu haben. Sein schwarzes, glänzendes Auge haftete
zuweilen brennend auf dem lieblichen Gesicht des Mädchens,
und sein Pferd hielt wie zufällig fast immer in der Gegend,
wo sie saß. Er ritt an diesem Abend noch ausgezeichneter,
als zuvor, und erntete den reichlichsten Beifall, der fast nicht
enden wollte. Charlotte hatte kein Zeichen der Befriedigung
gegeben, doch verbeugte er sich zuerst nach ihrer Gegend
hin und sie bemerkte wohl, wie sein Auge unter den dunk-
len Locken groß und leuchtend auf sie gerichtet war.
Bei der folgenden Vorstellung der Truppe war sie nicht
zugegen, aber zum Besuch der zweiten hatte sie die Erlaub-
niß der Vorsteher zu erhalten gewußt. Als Aurelio vortrat,
überflog sein Auge die Versammlung, als ob er etwas su-
che, dann, als seine Augen denen Charlottens begegneten,
verbeugte er sich noch einmal wie zum Dank. Mit einem
raschen Sprung stand er auf seinem Pferd. Seine Augen
sprühten von glühender Lust, immer gewaltiger trieb er
sein Pferd mit Zurufen an, und der Triumph seiner Kunst
erreichte heute seinen Gipfel. So verwegen und doch so
schön und so gewandt hatte man ihn noch nicht reiten se-
hen. Es war als ob ein inneres Glück ihn zu den tollkühn-
sten Launen treibe. Auch sein Aeußeres erschien heute
schöner und glänzender als sonst. Ein reiches, geschmack-
volles Kleid lag schwellend um den schlanken Wuchs der
Hüften und die elastischen Tricots auf Armen und Beinen
ließen das Spiel der kräftigen Muskeln erkennen. Der Hals
war entblößt, die glänzenden Locken umschloß ein präch-
tiges Stirnband, das im Widerschein der Lichter sich tau-
sendfach brach und blitzte. So stand er auf seinem Pferde
wie ein junger Siegesgott, die Siegesfreude lachte aus seinen
blühenden Zügen und sein dunkles Auge leuchtete dahin-
ter hervor wie der Stolz des Herrschers. Charlotte zitterte,
wenn sie dies stolze Auge in den ihrigen brennen fühlte.
Bei einem der letzten Manövres stürzte Aurelio ganz in
der Nähe Charlottens vom Pferde. Charlotten entfuhr ein
leichter Schrei. Der Reiter aber hatte sich im Augenblick
wieder erhoben, und schwang sich im vollen Lauf auf das
Pferd. Die Luft erzitterte nun von Beifallsruf. Während er
sich verbeugte, warf er einen Blick auf Charlotten, als er an
ihr vorbeiritt, und legte die Hand aufs Herz, als ob er ihr
für die Angst ihrer verrathenen Theilnahme danken wolle.
Das Mädchen aber erröthete bis an die Schläfe.
Beim Hinausgehen aus dem Circus drängte sich ein
Mensch zwischen ihr und den Begleitern hindurch, und
drückte ihr leise die Hand. Charlotte glaubte den Bajazzo
der Truppe erkannt zu haben. Zugleich fühlte sie, daß sie
etwas in der Hand halte, — als sie hinsah, bemerkte sie
ein zusammengefaltetes Papier darin. Ihr Herz schlug höher
und erröthend und heimlich verbarg sie das Briefchen auf
ihrem Busen.
Am folgenden Abend stand bei der Gartenmauer des
Pensionats, welches außerhalb der Stadtthore gelegen
war, ein Mann an den Nacken seines Pferdes gelehnt, und
sprach mit einem Mädchen, welches aus dem Garten über
die Mauer blickte.
Diese Zusammenkünfte dauerten fort, still und heim-
lich, Abend für Abend. Es wußte aber außer den Beiden
noch Einer davon.
Der Kunstreiter war in der Stadt mit einem jungen Mann
bekannt geworden, von dem er eigentlich nicht wußte, was
er war, woher er war, oder was er wolle; ja er wußte eigent-
lich gar nicht einmal, wie er mit ihm bekannt geworden,
viel weniger, wie
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