Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
Gesellschaft sich nahezu manisch
mit Homosexualität beschäftigt. Präsident Lech Kaczyński führte einen Wahlkampf auf Kosten von Minderheiten, seine Umfrageergebnisse
stiegen, als er in seiner Funktion als Warschauer Bürgermeister die »Gay Parade« verbot, mit der lapidaren Begründung, der
Verkehr der Stadt drohe zu kollabieren. Den »Marsch der Normalität« von Skinheads hat |100| er freilich erlaubt. In anderen polnischen Städten flogen, ungeachtet eines Polizeiaufgebots, Pflastersteine auf Demonstranten,
im November skandierten in Poznań militante Gegendemonstranten: »Wir machen mit euch das, was Hitler mit den Juden tat.« Die
Polizei löste die verbotene Demonstration auf und verhaftete vorübergehend über 100 Teilnehmer – diejenigen, die für die Rechte
von Schwulen und Lesben auf die Straße gingen.
Der Vorsitzende von »Recht und Gerechtigkeit« und Zwillingsbruder des Präsidenten, Jarosław Kaczyński, verlangt Berufsverbote
für homosexuelle Lehrer. Auch regten seine Parteifreunde die staatliche Einrichtung von Umerziehungslagern für Schwule an.
Ach, die Homosexualität, in Deutschland ist sie seit Jahrzehnten hoffähig, fest verankert in der »Linden straße « und im Big-Brother
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Container. Fernab jedes Skandals, ist sie mittlerweile ein geradezu langweiliges Phänomen. Der Furor, mit dem die neue polnische
Regierung katholische Familienwerte propagiert, verströmt den Mief der fünfziger Jahre, von dem sich das westliche Europa
schleichend gelöst hat, ihn abtrug zugunsten individueller Freiheitswerte. Es scheint, als habe der Liberalismus der Postwendezeit,
nachdem Polen lange Zeit von der Landkarte verschwunden war, nachdem es unter nationalsozialistischer, dann sowjetischer Fremdherrschaft
stand, einen Rückschlag erlitten. Wie ein Rückzugsgefecht gegen eine forciert |101| funktional-ausdifferenzierte Gesellschaft, die sich auch in Polen unaufhaltsam auszubreiten beginnt, erscheint die derzeitige
moralinsaure Stimmung jenseits der Oder. Gern treten Politiker mit der Forderung nach Einführung der Todesstrafe vor die Presse.
Im Kern berechtigte Lustrationen gegen die postkommunistische Linke, die sich in Korruptionsaffären verstrickt hatte, verströmen
zunehmend einen inquisitorischen Geist.
Suchzyn sitzt am Tresen, trinkt ein letztes Bier. Es ist leer geworden in der Kneipe, die Perücke hängt an einem Haken, die
letzten Gläser werden gespült, die Musik ist verklungen. Suchzyn sagt mit einem müden Blick: »Jeder hat doch nur ein Leben.«
Und seines sei in schon so jungen Jahren gescheitert. Es sind diese ganz einfachen Sätze, die er vor sich hin sagt: »Irgendwo
muß es doch einen Platz für mich geben.« Existentielles läßt sich nicht in geschwungene Prosa packen, seine Sätze klingen
nackt, ungehobelt, pathetisch: »Was mich am Leben hält, ist die Angst.«
Ein neuer Morgen, dicke Schneeflocken hüllen die Stadt ein, auch das gläserne Hochhaus auf der anderen Weichselseite, in dem
sich die Fernsehstation Polsat befindet. Polsat ist das polnische Äquivalent zu RTL. Alexej Suchzyn ist noch ein wenig verkatert,
sieht blasser aus als einen Tag zuvor, reibt sich die Hände. Adam Bogorya-Zakrzewski holt ihn ab, macht in seinem Großraumbüro
Kaffee. Bogoryja-Zakrzewski ist ein |102| Redakteur des TV-Magazins »Interwencja«, das jeden Abend Reportagen zeigt; er hat einen siebenminütigen Film über Alexej Suchzyn
gedreht. Er spielt ihn ab, Suchzyn eilt darin durch Warschau, auch Wȩgrzyn von der Flüchtlingsbehörde kommt darin vor, zwischendurch
werden tschetschenische Partisanen und Kriegsopfer eingeblendet. Aus dem Off ertönt eine Stimme, die Suchzyns Leben erzählt.
Man hatte, bevor der Film gezeigt wurde, einige Szenen herausschneiden müssen, erzählt der polnische Journalist. Die Szenen,
die um Suchzyns Homosexualität kreisen. Derartige Themen verhindere derzeit jeder Programmchef, der Imageschaden wäre enorm:
»Das war vor zwei, drei Jahren noch anders.«
Und Bogorya-Zakrzewski erzählt, daß die postkommunistische Linke ein Gesetz für »eingetragene Partnerschaften« vorbereitet
hatte. Da war sie noch an der Macht. Die gesellschaftliche Debatte war verhältnismäßig leise, der Klerus und die rechten Parteien
im Parlament protestierten, aber man wähnte sich am Puls der Zeit, man wollte mit anderen westeuropäischen Staaten gleichziehen.
»Irgend etwas«, sagt Bogorya-Zakrzewski und blickt mich sehr
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