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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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ein Kinderspiel, sich von der polnischen Vergangenheit
     zu lösen. Dem Papst habe ich seither mißtraut; die gestrige Sexualmoral und das Zölibat, Weihrauchschwaden und Rosenkränze
     waren in meiner deutschen Jugend wenig attraktiv.
    Ich mußte erwachsen werden, um wieder häufiger nach Polen zu fahren, die steinigen Feldstraßen wieder hinauf nach Biskupiec.
     Und wenn ich an der backsteinfarbenen Dorfkirche entlanglaufe, die noch genausogut besucht wird wie die Jutrzenka, und das
     verwitterte |111| Doppelgrab meiner Großeltern aufsuche, dann werde ich doch noch heimgesucht. Von dem Papst aus Polen.
     
    Der Tod war mir erstmals in Biskupiec begegnet. 1985. In Gestalt meines Großvaters. Er lag im Schlafzimmer. Draußen strahlte
     die Sonne auf das Dorf, nur flüchtige Wolken hinterließen ein Schattenspiel auf den staubigen Straßen.
    Wir waren nach Polen geeilt, nachdem uns ein Telegramm erreicht hatte, mit den kargen Zeilen: »Dziadek umiera« – »Großvater
     stirbt.«
    Zwei Tage später stand ich am offenen Sarg, blickte in Großvater Leons blasses Gesicht. Seine Hände waren gefaltet, seine
     Augen tief verschlossen. Er sah zornig aus, er war nicht friedlich gestorben.
    Maria hatte ihn gewaschen, wenige Stunden zuvor, und ihn in seinen besten Anzug gesteckt. Nun standen alle um ihn herum, seine
     vier Kinder, die Schar der Enkel. Tante Ania weinte, meine Eltern blickten Leon, wie mir schien, bedeutungsleer an, und Onkel
     Tadek hatte eine Schweißschicht auf seiner Stirn, die er sich in regelmäßigen Abständen wegwischte. An der Wand hing neben
     dem Bild, auf dem der Papst im Gebirge wanderte, ein großes Gemälde, das Jesus mit weit ausgebreiteten Armen zeigte. Im Hintergrund
     versank darauf die Sonne, die gleichsam seinen Heiligenkranz darstellte. Man schwieg, Tante Ania, eine kleine Frau mit schwarzen
     Locken, hatte ihr Schluchzen unterbrochen. Denn |112| ein Fotograf, den man bestellt hatte, bannte uns zusammen mit dem Toten in Bilder.
    Maria, in einem engen, schwarzen Kleid, das ihre Körperfülle betonte, betete Rosenkränze. Über Stunden. Leon würde drei Tage
     hier im Schlafzimmer liegen bleiben. So war es üblich im Dorf. So wollte es auch Maria, die Leon immer wieder, drei Tage lang,
     über die gefalteten Hände strich. So, als sei er noch am Leben. Niemals allerdings hatte ich gesehen, daß sie dies jemals
     zu seinen Lebzeiten getan hatte.
    Vor dem Haus, dort, wo die Hühner begierig nach Körnern pickten, die Großvater Leon immer in großem Bogen zu verstreuen pflegte,
     hatte ihn der Schlag getroffen. Maria erzählte, dem Leichnam zunickend, Großvater habe, kurz bevor er auf die Erde sank, einen
     Moment lang noch wegziehenden Wolken hinterhergeschaut. Sie habe ihn dabei vom Fenster aus gesehen. Niemand zweifelte daran.
     Und sie zeigte dabei mit ihrem rechten Zeigefinger, der sehr zitterte, an die Zimmerdecke. Dann schlug sie ein Kreuz, und
     ihre zerfurchten Finger tasteten sich weiter den Rosenkranz voran.
    Abends wurde die Schlafzimmertür geschlossen. Wir saßen im Wohnzimmer, den hellen Abdruck des Hirschgeweihes vor Augen. Der
     Tod lag nur ein Zimmer weiter. Und ich stellte mir vor, daß Großvater Leon nun, von uns unbeobachtet, die Augen öffnete, die
     Hand ausstreckte, aufstand und ins Wohnzimmer trat. |113| Der Tod hat etwas Unfaßbares, man glaubt ihm nicht. Ich fixierte die Türklinke, die jeden Moment heruntergedrückt werden könnte.
     Sie rührte sich nicht.
    Die Erwachsenen tranken. Tadek saß vor Leons selbstgebranntem Wodka. Dem Wodka, der niemals wieder von Leon gebrannt werden
     würde, der nun rasch die Kehlen hinabrann.
    Tadek war der jüngste Sohn meiner Großeltern, 30 Jahre alt, das letzte der Kinder, das im Dorf geblieben war. Ein Junggeselle,
     ein kleiner, dürrer Mann, den der Alkohol ans Dorf gefesselt hatte. Die Jutrzenka, die Dorfkneipe, war zu seinem zweiten Wohnzimmer
     geworden, Nachbarn schleiften ihn allabendlich ins Haus, ohrfeigten ihn auf dem Sofa, bis er imstande war, sich auszuziehen.
     Dann beschwerte sich Tadek, daß er geschlagen worden war, sehr laut beschwerte er sich und ballte die Faust, und seine Augen
     wußten nicht, was sie fixieren sollten, tasteten hastig die Gegenstände des Wohnzimmers ab, den Fernseher, das Fenster, den
     Tisch, unkontrollierbar. Und glücklich schien er dann, als der Schlaf ihn mitnahm, fortzog aus dem Delirium, in das er geraten
     war, jeden Abend.
    Alle anderen Kinder meiner Großeltern waren in die

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