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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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Geschichte von der Frau (jedes Dorf hatte seine eigene), die schon vor Jahrzehnten
     ganz genau wußte, daß bald ein polnischer Papst im Vatikan residieren sollte und daß dieser dann sehr, sehr lange leben würde.
     Diese Geschichte schien mir unhinterfragbar wahr. Eine weitere Geschichte schloß sich an. Emilia Wojtyła, die Mutter des Papstes,
     soll eines Tages ihren Sohn durch den Heimatort Wadowice geschoben haben; immer wieder habe sie auf den ärmlichen Kinderwagen
     gezeigt und den Nachbarn verkündet: »War tet nur, mein Kind wird eines Tages ein ganz großer Mann werden.«
    |108| Wojtyła wurde in Polen übergroß, und zwar ohne die heutigen massenmedialen Verbreitungsmöglichkeiten. Der Papst war im kommunistischen
     Staatsfernsehen nicht häufig zu sehen, es übertrug lieber graue Parteitage. Karol Wojtyła kannte ich vor allem aus Erzählungen
     und von Fotografien, die Schlaf- und Wohnzimmer zierten und die im Vorbeigehen mit einem Kreuzzeichen bedacht wurden. Geschichten
     über den Papst schienen mir über einen unsichtbaren Äther verbreitet, über die wolkenlose Weite des Himmels, der die Fama
     seines Pontifikats nach Biskupiec trug. Den Alten half er, damit klarzukommen, was sie selbst Schlimmes im Krieg erlebt hatten.
     Sprachen die Großeltern über den Krieg, über die Besatzungszeit unter den Deutschen, dann schwang immer das Leben des jungen
     Wojtyła mit. Wie so viele von ihnen war auch er einst Zwangsarbeiter, der in einem Steinbruch hämmern mußte. »Meine Hände«,
     schrieb er in einem Gedicht, das meine Großmutter liebte, »sind eine Landschaft. Wenn sie aufreißen, dringt der Schmerz ihrer
     Wunden frei hervor wie ein Fluß.«
    Mein Vater sorgte im Dorf für heftige Irritationen, da er eine deutschstämmige Protestantin geheiratet hatte. Er sympathisierte
     mit der jungen Solidarność-Genera tion . Für sie symbolisierte Wojtyła die antikommunistische Freiheitsliebe. Denn im fernen Danzig streikten die Arbeiter, und der
     Papst war ihr unsichtbarer Anführer.
    |109| Auch darüber sprach man im kleinen Biskupiec. Dort trieb der Papst die Menschen freilich nicht auf die Barrikaden, sondern
     in die Dorfkirche Jana Nepomucena. Meine Familie hatte dank Maria eine ganze Kirchenbank mieten dürfen. Sonntagmorgens sahen
     die Männer auf unserer Bank sehr bleich aus, trugen quadratischstrenge Anzüge made in USSR, und ihr stechendes Eau de Cologne
     verdeckte nur notdürftig die Ausdünstungen nächtlicher Alkoholexzesse. Diese wurden unmittelbar nach dem Kirchgang im einzigen
     Lokal des Ortes, in der Jutrzenka, fortgesetzt. Die Sünden des Alltags wurden von der Ablaßdoktrin des Papstes gedeckt. Nie
     erwies er sich als sonderlich streng, stets lächelte er von den eingerahmten Bildern auf die Menschen herab.
    Womöglich hat der Papst zwei Körper. Einen weltlich-sterblichen und einen göttlich-unsterblichen, wie der Historiker Ernst
     H. Kantorowicz behauptet. Der sterbliche Papstkörper, so Kantorowicz, sei immer nur als raumzeitliche Inkarnation eines unsterblichen
     und fiktiven Papstes begreifbar. Im Polen meiner Kindheit waren die beiden Körper des Papstes verschmolzen. Denn Wojtyła war
     schon zu Lebzeiten ein Heiliger, um den sich Legenden rankten. Seine Biographie kannte jeder auswendig, fügte aber gerne das
     eine oder andere hinzu. Er war ein enger Vertrauter, und doch war das Leben, das er im fernen Rom führte, weitestgehend unbekannt.
     Manchmal dachte ich, als ich mit Kinderaugen sein Bild an der Schlafzimmerwand meiner Großeltern |110| betrachtete, Wojtyła sei ein innig geliebtes, aber längst verstorbenes Familienmitglied.
    Die Welt wurde bunt, der Papst wurde es auch. Plötzlich bewegte er sich, ich sah, wie er im Papamobil den Massen entgegenwinkte,
     wie er mit weit ausgebreiteten Armen Gottesdienste zelebrierte, aus einem Flugzeug stieg und den staubigen Asphalt fast jedes
     Landes auf der Welt küßte. In Deutschland war mir Karol Wojtyła fremd geworden. Er war aus Fleisch und Blut, war ununterbrochen
     auf allen Kanälen zu sehen, und er begann, die Bilder meiner Kindheit zu löschen. Als wäre die Vergangenheit eine Lüge.
    Ich war fest entschlossen, die päpstliche Bilderflut von nun an genauso auszumerzen wie meinen polnischen Akzent. Es war mir
     peinlich, daß er zu Weihnachten und Ostern unser Wohnzimmer beschallte, und es war mir zuwider, daß mein Vater sich ein kleines
     Papstbild ins Auto klebte. Ich belächelte ihn sogar, denn es schien mir

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