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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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der so deutlich von der nikotingelben Tapete abstach.
    |120| Dann ging ich wieder hinaus, mit stoischem Gesichtsausdruck, zu den Holzhütten, um zu erledigen, was definitiv nicht mehr
     aufzuschieben war.
    Zwei Tage nach der Beerdigung, am letzten Abend, bevor wir wieder zurück nach Koblenz fahren sollten, mußte Tadek meine Mutter
     anhauchen. Sie wollte sichergehen, daß er nichts getrunken hatte. Er hatte nichts getrunken. Denn er nahm mich an diesem Abend
     auf seinem Moped mit zum Angeln. Ich umklammerte auf dem Weg zum See seinen Bauch, ich glaubte, wir würden jeden Moment stürzen,
     auf den holprigen Feldstraßen, die dorthin führten. Ich verfolgte die kleinen Steine, die vom rasenden Vorderrad hinwegkatapultiert
     wurden. Ich sah uns mehrmals im Straßengraben liegen. Doch wir saßen nur eine Viertelstunde später im Schilf, nachdem Tadek
     seine Angelgeräte aufgebaut hatte, wartend, daß ein Fisch anbiß.
    Und wieder logen wir uns an. Tadek erzählte eine Geschichte. Es war die Geschichte von den Gänsen, die gestohlen wurden eines
     Nachts, vor Jahren schon, von Räubern, und die nach Rußland verkauft wurden. Und dies sei der Grund, weshalb es in Biskupiec
     kaum noch Gänse gebe. Früher habe es sehr viele Gänse gegeben. Es waren Räuber, die einem Herrn Sławomir untertan waren, dem
     Herrn einer Schattenwelt, der die Gänse in Soldaten verwandelte, die eines Tages Polen überfallen würden. Und ich blickte
     ihn erschrocken an. Und er ahnte, daß ich meine Furcht nur vorgab. Doch er ließ |121| sich nichts anmerken und drehte einen Flachmann auf und trank, bis er einschlief, und auch ich schlief bald ein.
    Und als wir geweckt wurden von den ersten Sonnenstrahlen, die unsere Haut röteten, eilten wir, rasten wir über die Feldstraßen
     hinweg, und ich hatte keine Angst mehr. Wir eilten, da meine Eltern, reisefertig, vor unserem VW Passat auf mich warteten,
     und Vater trank einen letzten Kaffee, und Maria schlug Kreuze, um uns eine gute Heimfahrt zu wünschen, und schenkte uns ein
     neues Papstbild, das Vater neben das alte ins Auto klebte. Mutter blickte erleichtert, als sie mich lebendig sah, und wir
     fuhren in das Land, das, so sagte es Vater, unsere »Heimat« sei. Und als wir die Grenzer passiert hatten, die an der Oder
     und die an der deutsch-deutschen Grenze, da waren die Städte, die an uns vorbeizogen, auf einmal hell erleuchtet, und die
     Straßen waren so eben, und der Passat glitt reibungslos über den Asphalt. Und Vater sagte: »Siehst du, bald sind wir wieder
     in Koblenz.« Da war es mir fast, als müßte ich mich freuen.

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DIE MASUREN
    »ES FÄHRT EIN: Der Expreß-Zug nach Iława Główna. Abfahrt 11 Uhr 05«, erklingt es aus den Lautsprechern.
    Warschau verlasse ich nach meiner Begegnung mit Alexej Suchzyn nicht nur in Gedanken. Ich habe meinen Koffer gepackt, dem
     Portier des Hotels Europejski zum Abschied zugenickt und stehe nun auf Gleis 2 des Bahnhofs Warszawa Centralna, eine Zapiekanka
     essend. Zapiekanka ist eine noch in kommunistischer Mangelwirtschaft erfundene, längliche Ersatzpizza aus sehr dickem Hefeteig,
     an deren Rändern das Ketchup stets herabtropft. Sie hat die Wende genauso überlebt wie die Krówki-Bonbons meiner Kindheit
     und die Milchbars, in denen man subventionierte Mittagsgerichte bekommt.
    Hinauf in den Norden würde ich fahren. Über Iława nach Ostróda, einer kleinen Kreisstadt in den Masuren, zu Onkel Tadek, der
     nun dort lebt. Ostróda ist nur 20 Kilometer von Biskupiec, dem alten Heimatort meiner Großeltern, entfernt. Weniges nur habe
     ich vor meiner Reise über Tadeks weiteres Leben in Erfahrung |124| gebracht. Hin und wieder, in Koblenz, erhielten wir Briefe von Tante Ania. Tadek sei, schrieb sie, nach dem Tod meiner Großeltern
     völlig dem Alkohol verfallen. Er zittere heftig, am ganzen Leib, sobald er nur einen Abend beabsichtige, einen klaren Kopf
     zu bewahren. Er sei auch bei einem seiner Angelausflüge fast erfroren, denn er war eingeschlafen eines Nachts am vereisten
     See. Und man habe ihn, schrieb Tante Ania, in einem Krankenhaus hektisch zum Leben wiedererwecken müssen. Mit dem Resultat,
     daß er noch an dem Tag, als er aus der Klinik wieder entlassen wurde, sich in der Jutrzenka, der Dorfkneipe, in eine kleinere
     Rangelei verwickelte. Niemand wußte, weshalb er sich mit drei Bekannten gestritten hatte. Auch den Beteiligten war der Anlaß
     am nächsten Morgen nicht mehr sonderlich genau erinnerlich. Und

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