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Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen

Titel: Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Soboczynski
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sieht?
    »Vielleicht«, antwortet Maciejowski ruhig, geradezu entspannt, »aber vielleicht male ich auch einfach immer nur Szenen, die
     mir gefallen.«
    Szenen, das Wort fällt immer wieder. Maciejowski fasziniert offenbar, wie das Auge der Kamera einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit
     zur Wirklichkeit selbst erklärt. Die Szenen, die ihn in jüngster Zeit fasziniert haben, sind Sequenzen aus Francis Ford Coppolas
     »Der Pate I«: Michael Corleone alias Al Pacino befindet sich im sizilianischen Exil, nachdem er einen konkurrierenden |174| Mafiaboß seines Vaters, des Paten (Marlon Brando), ermordet hat. Er verliebt sich in die junge Apollonia (Si monetta Stefanelli). Die einzige idyllische Szene des Films zeigt die beiden Liebenden in ihrer Brautnacht. Apollonia hält schützend
     die Arme vor ihre Brust. Und doch nur, wie sich Sekundenbruchteile später herausstellt, um geschickt ihr filigranes Nachthemd
     abzustreifen. Maciejowski zerlegt die Szene in ihre Einzelteile, in einen Comic der Anmut. Wieder spart der Künstler die weiblichen
     Gesichtszüge aus, bannt das Antlitz Apollonias in einer Maske. Die flüchtigen Bilder des Films gerinnen in Maciejowskis Gemälde
     zu Momentaufnahmen einer ganzen Gegenwart, die wir klammheimlich alle herbeisehnen. Er befriedigt unsere Sehnsucht nach einem
     Kino der großen Gefühle, nach Augenblicken, die wir zu konservieren begehren. Maciejowski hält den Ablauf der Filmbilder auf,
     drückt mehrmals die »Pause«-Taste. Gerade so, als gelte es, den Gang der Filmhandlung aufzuhalten; als gelte es, die Mafia-Gangs,
     die eine notorische Spirale der Gewalt erzeugen, zu befrieden. Nur kurz nach dem Liebesglück, das Maciejowski in seinen Bildern
     auffängt, erzählt der »Pate I« von Apollonias Ermordung. Von Maciejowski ausgespart, haben wir sie doch vor unserem geistigen
     Auge: Eine konkurrierende Familienbande übt Rache an Michael Corleone. Apollonias Körper wird wenige Einstellungen nach dem
     Liebesglück von einer Autobombe zerschmettert.
    Je mehr man sich den idyllischen Filmszenen nähert, |175| die Maciejowski in ein Bild bannt, um so mehr entfernen sie sich von einem. Sie sind ein Glücksversprechen, doch ein in Wahrheit
     höchst gebrochenes. Nicht nur, weil wir den Film vor unserem geistigen Auge fast widerwillig ergänzen, ergänzen müssen. Der
     dargestellte Liebesaugenblick selbst, er hat einen Makel: Den Liebenden fehlen die Augen, ihren Gesichtern die Münder, die
     sich zum Kuß vereinigen könnten. Maciejowski verfremdet die gefrorenen Bilder der Idylle selbst. Für einen Moment steigert
     er ihr affektives Potential, indem er den Lauf der Handlung aufhält; doch gleichzeitig entseelt er die Protagonisten, die
     in ihren leeren Gesichtern vergeblich ein menschliches Antlitz suchen. Und so radikalisiert er den Furor der Gewalt, der sich
     im Film ergießt; er zersprengt selbst die wenigen Glücksmomente, die Coppola ohnehin nur rar gesät hat. Nur daß er auf ein
     Blutvergießen verzichtet.
    »Filme mag ich sehr«, sagt Maciejowski. »Ich gucke oft VHS-Videos. Und Al Pacino ist ein guter Schauspieler. Ich habe die
     Szene gemalt, weil sie mir gefallen hat. Und ein ausgemaltes Gesicht hätte die Harmonie gestört, die Komposition.«
    »War es eher zufällig, daß sie diese Sequenz aus dem Paten auswählten?«
    »Zufällig?« fragt Maciejowski etwas verwirrt, »nein, sie ließ sich
besonders
gut malen. – Ich male viel«, ergänzt er. »Und ich male schnell, wenn die Farbe auf dem Bild trocken wird, kann ich es nicht
     mehr anrühren. Das |176| mag ich nicht. Überhaupt. Diese Fragen … diese Aufsätze über mich … also ich bin eigentlich kein Künstler, nenne mich auch
     nicht so, eher so eine Art Handwerker, ein Macher. In die Akademie bin ich statt mit einer Mappe immer mit Plastiktüten gegangen.
     Damit niemand sagt: Das ist ein Künstler.«
    Maciejowskis Eltern sind Bauern, stammen aus einem winzigen Dorf in der Hohen Tatra. Vielleicht neigt man da eher zum Schweigen,
     weil man weiß, daß auf jeden Sommer ein Herbst folgt. Man blickt ihm fest in die Augen. Man wird irgendwann mißtrauisch –
     Tatra hin oder her. »Maciejowski«, denkt man, »Sie sind ein Verstellungskünstler!« Ein Höfling auf leichten Sohlen, ein geschmeidiger,
     ein perfekter Lügner. Sie treiben ein Spiel. Sie sind der Pate, der im verborgenen die Fäden in der Hand hält. Sprachen die
     polnischen Kunstkritiker nicht ohnehin davon, daß Maciejowskis Kunst ein

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