Polt - die Klassiker in einem Band
zu folgen.“
„Sehr gut, setzen. Die Sache mit dem Saufen ist da schon komplizierter. Obwohl das mit dem schöpferischen Zustand danach recht ähnlich aussieht, nur viel intensiver. So lange sich Rausch und Ernüchterung die Schwebe halten, bist du mehr, als du bist. Aber im Himmel ist man näher an der Hölle als irgendwo sonst. Es fängt damit an, daß du dich mit einem Todfeind einläßt.“ Franz Fürst stand auf und machte eine theatralische Geste. „Die Zeit, in der ich auf Hermann Hesse hereingefallen bin, ist lange vorbei. Aber einen Text mag ich noch immer:
So ist der Wein. Doch es ist mit ihm, wie mit allen köstlichen Gaben und Künsten. Er will geliebt, gesucht, verstanden und mit Mühen gewonnen sein. Das können nicht viele, und er bringt Tausende um Tausende um. Er macht sie alt, er tötet sie oder löscht die Flamme des Geistes in ihnen aus. Seine Lieblinge aber lädt er zu Festen ein und baut ihnen Regenbogenbrücken zu seligen Inseln. Er legt, wenn sie müde sind, Kissen unter ihr Haupt und umfaßt sie, wenn sie der Traurigkeit zur Beute fallen, mit leiser und gütiger Umarmung wie ein Freund und wie eine tröstende Mutter. Er verwandelt die Wirrnis des Lebens in große Mythen und spielt auf mächtiger Harfe das Lied der Schöpfung.
Ist natürlich trotzdem Kitsch, das alles, aber schön. Ein geschickter Mensch, der Hesse, wie er mit Wortwahl und Sprachfarben spielt. Dabei geht es um etwas ganz Banales. Nehmen wir zum Beispiel das Glücksspiel. Die meisten zahlen drauf, ein paar wenige werden reich. Aber im Mittelpunkt steht immer die Spielleidenschaft, die Sucht.“
„Ihr Wortgedächtnis möchte ich haben, Herr Fürst.“
„Von wegen. Das meiste ist längst weggesoffen. Nur ein paar Lieblingstexte kann ich noch aufsagen, immer wieder, wie eine Gebetsmühle. Ziemlich langweilig für meine Freunde.“
Polt riß ein paar Grashalme aus. „So richtig habe ich nicht begriffen, worauf Sie hinauswollen. Aber mir kommt es so vor, als ob Sie sich da ein paar schöne Ausreden für das Saufen zurechtphilosophieren.“
„Durchaus denkbar. Wär ein schönes Streitgespräch wert, eine Nacht lang oder so.“
„Nein danke. Zu anstrengend für mich.“
„Es käme dann womöglich auch noch zu Dienstverfehlungen! Ist es Ihnen übrigens schon aufgefallen, Herr Gendarm, daß die meisten Menschen sich nur bemühen, nichts falsch zu machen, statt einfach das Richtige zu tun?“
„Und Sie tun einfach das Richtige, Herr Fürst?“
„Nein. Ganz bestimmt nicht. Ich richte mich mit heiterer Miene zugrunde. Verdammt rücksichtslos gegenüber allen, die noch immer zu mir halten. Aber es ist eben Herbst für mich, mitten im Sommer.“
„Selbstmitleid?“
„Klingt so, trifft aber nicht zu. Eher ein letzter Rest von Vernunft. Hat Sie übrigens die Karin Walter geschickt, für ein Gespräch von Mann zu Mann?“
„Ja.“
„Liebe, liebe Karin.“
„Ja.“ Polt dachte nach. „Könnte vielleicht eine neue Aufgabe etwas für Sie ändern, Herr Fürst? Im Weinbaumuseum fehlt zum Beispiel jemand, der sich um alles kümmert.“
„Und der nach einer Woche die Eintrittsgelder versäuft.“
„Sind Sie verliebt in Ihr Unglück, oder was?“
„Natürlich. Gendarmen haben immer recht.“
„Blödsinn. Aber wenn Sie mich schon an meinen Beruf erinnern: Nachts hat sich ja in den letzten Tagen einiges getan in Burgheim. Wissen Sie davon?“
„Vielleicht war ich dabei, irgendwie?“
„Aber! Da wüßt ich gerne mehr darüber!“
„Sie werden nichts erfahren. Und wenn Sie mir jetzt mit Ihrer amtlichen Autorität kommen: Wovor sollte ich noch Angst haben?“
„Was sagen Sie zu der Bitte, mir zu helfen?“
„Nichts. Weil es keine Hilfe wäre, wenn ich rede.“
„Auch gut.“ Polt stand auf. „Schade um die Zeit.“
„Ja. Schade.“ Franz Fürst hatte sich abgewandt und schaute zu Boden. „Und sagen Sie der Karin, daß sie wiederkommen soll. Bitte.“
„Damit Sie ihr was vorspielen können?“
„Ihr und mir. Das hilft ein wenig.“
Der Tod im Wald
Am späten Vormittag war die Kellergasse fast unbelebt. Erst nach dem Essen würden hier Familien einen kleinen Sonntagsspaziergang unternehmen und ein paar alte Männer wie jeden Tag langsam und unbeirrt den Kellern zustreben. Doch einer, Bruno Bartl, war schon jetzt unterwegs, und er hatte es offenbar eilig. „Hallo, Bruno!“ Polt hielt ihn am Hemdsärmel fest. „Was treibst du denn hier? Du bist doch in der Brunndorfer Kellergasse zu
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