Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Polt - die Klassiker in einem Band

Polt - die Klassiker in einem Band

Titel: Polt - die Klassiker in einem Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
Vom Netzwerk:
Konflikte trug er mit großer Leidenschaft aus. Gut möglich, daß er die Grenze zwischen Gedankenspiel und Wirklichkeit manchmal außer acht ließ. Polt blieb stehen, um ein wenig zu rasten.
    Ohne es zu bemerken, war er an der Abzweigung, die zum Preßhaus des Lehrers führte, vorbeigegangen. Schon einmal im oberen Drittel der Kellergasse angelangt, entschloß sich der Gendarm zu einer kleinen, aber vergnüglichen Dienstverfehlung, deren Ziel sein jüngst erworbenes und ohnehin sträflich vernachlässigtes Eigentum war.
    Nach wenigen Minuten stand er vor seinem Preßhaus. Weil er keine Schlüssel bei sich hatte, setzte er sich neben der Tür auf einen kleinen Steinsockel, hörte den Vögeln zu und beobachtete das bewegte Spiel der Schatten auf dem grasigen Boden.
    Dann aber drängten sich doch wieder die Gedanken an den Tod der Pfarrersköchin vor. Es war doch seltsam, daß niemand so richtig darüber reden wollte. Gut, ein paar ihrer Freunde von damals waren heute brave Ehemänner und vermutlich, wie auch ihre Frauen, ganz froh darüber, daß ein leidiges Thema nunmehr endgültig vom Tisch war. Dem Pfarrer war die bewegte Vergangenheit seiner Mitarbeiterin wohl auch peinlich, und er versuchte, ganz im Stil seiner Kirche, die Wogen salbungsvoll zu glätten. Immer wieder zog er es vor, auf Polts Fragen ausweichend oder gar nicht zu antworten. Und darüber, wie er die Bewilligung erwirkt hatte, eine junge, schöne Frau in den Pfarrhof aufzunehmen, wollte er auch nicht reden. Sogar Amalies Tod hüllte er in ein Gespinst unverbindlicher Worte. Nur für Sekunden hatte er die Fassung verloren, als die Rede auf den vergifteten Wein kam. Der Rest war Schweigen, obwohl sich auch Virgil Winter Gedanken darüber machen mußte, wie alles geschehen hatte können. Das galt erst recht für Firmian Halbwidl, den Mesner. Er war vom Tod der Amalie offenbar schmerzlicher betroffen als alle anderen. Die Untat müsse um jeden Preis gesühnt werden, hatte er gesagt, gleich, wen es trifft. Doch auch Firmian äußerte keinen konkreten Verdacht, obwohl er bei seinem Hang zur Wichtigtuerei bestimmt gerne mit Hintergrundwissen geprahlt hätte. Bruno Bartl wiederum war ein erklärter Feind des Pfarrers, weil er die Beziehung zwischen ihm und der Köchin gestört hatte und weil sie möglicherweise an seinem Wein gestorben war. Für den Bruno war also alles klar, ein Gendarm konnte damit aber kaum etwas anfangen. Blieb noch Franz Fürst, der nicht sagen wollte, was er wußte, angeblich, weil er einen vergleichsweise harmlosen Übeltäter, den er zu kennen glaubte, nicht mit Mord in Verbindung bringen wollte. Dieser Lehrer verwirrte Polt, weil er so gar nicht ins dörfliche Bild paßte. Klar war nur, daß es in allen Fällen eine Verbindung zu ihm gab.
    Der Gendarm spürte ein Drücken im Magen, seufzte und machte sich auf den Weg.
    Er sah Franz Fürst in der Wiese liegen, wie schon einmal. Ein müde gewordener Faun, dachte er und kniete nieder, um den Schlafenden zu wecken. Es gelang ihm erst, als er ihn an den Schultern nahm und kräftig schüttelte.
    Franz Fürst schaute Polt unsicher an, brachte zuerst nur einen krächzenden Laut hervor und trank aus einer Flasche, die neben ihm stand. „Alkohol entzieht Wasser, Inspektor. Die Stimmbänder trocknen aus.“ Er nahm noch einen Schluck. „Ich fürchte, mein Kopf will nicht so recht, bin wohl noch immer ziemlich betrunken. Entschuldigen Sie bitte.“
    Polt setzte sich ins Gras und schwieg.
    Franz Fürst stand mühsam auf und ging auf das Preßhaus zu. „Einen Augenblick Geduld, Herr Polt, oder darf ich Simon sagen, ich meine, wo doch die Karin …“
    Polt bekam einen roten Kopf. „Ja, gern.“
    Als Franz Fürst zurückkam, trug er ein Buch in der Hand. „Theodor Kramer, kennst du den?“
    „Nicht wirklich.“
    „Ich bin ein Idiot, Simon. Da kommt die Karin und versucht mir Mut zu machen, mit meinen eigenen Vorsätzen. Und meine Antwort? Ich besorge ihr ein schlechtes Gewissen mit meinem hundserbärmlichen Selbstmitleid. Es ist ein Teufelskreis. In dem Buch da hab ich ein paar Zeilen gefunden, die lese ich seit Tagen, das ist wie eine Droge. Da, hör einmal:
    Unterm Laub wohnt der Stamm, unterm Roggen der Grund,
    unterm Rasen Gestein und Gewalt,
    jedes Jahr, wenn im Herbstwind die Stauden sich drehen
    und die Kleestoppeln schwarz auf der Lößleiten stehen,
    wird urplötzlich das Land wieder alt.
    Es ist Herbst, Simon, mitten im Sommer.“
    „Hast du schon einmal gesagt.“
    „Hab ich

Weitere Kostenlose Bücher