Polt - die Klassiker in einem Band
so. Grillen zirpten, oder waren es Heuschrecken? Irgendwo raschelte ein Igel im Laub.
Dann hörte Polt Schritte von der Hoftür her. Gleich darauf erkannte er Karin Walter. Sie kam langsam näher, bewegte sich anders als sonst. Eine Armeslänge von Polt entfernt blieb sie stehen.
„Karin! Was ist?“ Er schaute in ein vertrautes, fremdes Gesicht.
„Tot ist er.“ Die Stimme der Lehrerin klang dünn. „Dr. Eichhorn und deine Kollegen sind bei ihm, ich habe meine Aussage gemacht. Du brauchst nichts zu tun, Simon.“
Polt streckte seine Hand nach Karin Walter aus, sie wich zurück. „Laß mich. Ich geh dann.“
„Ich laß dich nicht. Und du bleibst.“
„Ich weiß nicht.“
„Komm ins Haus, Liebes, bitte!“
Zögernd ging sie auf die helle Türöffnung zu, Polt folgte ihr. „Wie wär’s mit der Sitzbank? Schäbig, aber gemütlich.“
Karin nahm schweigend Platz und drückte sich in eine Ecke, als wollte sie sich verkriechen.
Polt war hinter sie getreten und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Wenigstens für ihn ist Schluß mit der Quälerei.“
Karin nickte. Dann spürte Polt ein Zittern. Sie griff nach seiner rechten Hand. „Komm, du. Setz dich zu mir.“
„Erzähl, Karin. Oder geht das nicht?“
„Doch, ja. Ich habe den Franz besuchen wollen, heute abend. Auf seiner Wiese war er nicht, auch nicht im Keller oder im Preßhaus. Ich habe ihn dann in der Hütte über dem Dach gefunden, neben seinem alter ego, diesem Papiergerippe, du weißt. Ganz friedlich und entspannt ist er dagelegen, ein paar leere Flaschen neben sich. Gehirnschlag, aller Wahrscheinlichkeit nach, sagt der Dr. Eichhorn.“
Jetzt erst bemerkte Polt, daß Karin ihre linke Hand zur Faust geballt hatte. „Was hast du denn da?“
„Geht dich nichts an!“
„Glaub ich schon.“ Vorsichtig, aber energisch bog Polt Karins Finger auseinander und hielt dann ein zusammengeknülltes Stück dünnen Kartons in der Hand.
„Eine Spielkarte. Pique Dame, so etwas wie sein Idol“, erklärte die Lehrerin resignierend. „Er hat sie immer bei sich getragen und die wildesten Dinge hineininterpretiert.“
„Und warum hast du sie mitgenommen?“
„Weil etwas draufsteht. Lies selbst.“
Polt glättete die Karte. „ Ich war es“ , las er halblaut. „Die Handschrift vom Franz, nicht wahr?“
„Ja. Und der Text kann alles oder nichts bedeuten, Simon. Vielleicht war’s die letzte von seinen Gedankenspielereien, oder ein Hinweis darauf, daß er sich seinen Tod selbst zuzuschreiben hat.“
„Oder eben mehr. Ein Universalgeständnis, so unwahrscheinlich mir das auch vorkommt. Aber vielleicht wollte er damit jemand decken? Du hast jedenfalls wichtiges Beweismaterial verschwinden lassen, Karin.“
„Ja, hab ich. Sehr schlimm?“
„Sehr schlimm. Und wahrscheinlich das Klügste, was du tun hast können. Nicht auszudenken, was unserem Herrn Kratky zu einem solchen Dokument alles einfallen könnte.“
„Und wohin jetzt damit?“
Polt steckte die Karte in seine Hemdtasche. „In halbamtliche Verwahrung. Wenn es notwendig werden sollte, finde ich sie eben irgendwo.“
„Na, ich kenn Leute!“
„Nicht wahr? Und jetzt denken wir einmal ganz feierlich darüber nach, was sich der Franz von uns wünschen könnte.“
„Ganz bestimmt, daß wir ihn nicht nur so sehen, wie er in den letzten Jahren war, Simon.“
„Da mußt du mir helfen, Karin. Laß hören!“
„Na, vieles weiß ja auch ich nur von Kollegen. Stell dir einen idealistischen jungen Mann vor, der sogar einmal Pfarrer werden wollte. Den Lehrberuf hat er aber um nichts weniger ernst genommen. Pestalozzi war sein großes Vorbild. Autorität war ihm zuwider, die hat er aber auch nie gebraucht, weil ihn seine Schulkinder geliebt und verehrt haben. Ganz im Gegensatz übrigens zu manchen Vorgesetzten. In meinen Augen ein Lehrer ohne Fehl und Tadel, Simon.“
„Aber doch recht unkonventionell, alles in allem.“
„Natürlich. Eigentlich war er auch schon in seiner überkorrekten Zeit ein lupenreiner Exzentriker. Eine bürgerliche Erscheinung mit einem Hang zur Anarchie. Auf der einen Seite zum Beispiel sein Frühstückszeremoniell mit Kerzenlicht und klassischer Musik vom Plattenspieler, auf der anderen oft ziemlich rüde Scherze. Stan Laurel und Oliver Hardy waren nicht von ungefähr seine Lieblingsschauspieler. Einmal hat der Direktor angeordnet, eine uralte ausgestopfte Kröte endlich wegzuwerfen. Der Franz hat sie mit Schwarzpulver gefüllt und im Kollegenkreis
Weitere Kostenlose Bücher