Polt - die Klassiker in einem Band
blieb stehen, als sei er gegen eine Wand gerannt.
Polt war ihm gefolgt. „Was ist?“
„Was soll sein? Ich bin überwältigt!“ Dann löste sich seine Starre und er begann, das Preßhaus zu durchstöbern. Dabei erinnerte er Polt an Czernohorsky, wie er als ganz junges Kätzchen mit unermüdlicher Neugier seinen neuen Lebensraum erforscht hatte. Hafner trat dicht an das Kaiserbildnis heran. „Haben Sie das schon gesehen, Herr Polt? Eine Notiz, mit dem guten, alten Tintenblei geschrieben: 12. Mai 1918. Wieder an die Front. Ignaz Reiter. Wer war das? Ein früherer Eigentümer?“
„Ja, vor ein paar Jahren noch. Ist 96 Jahre alt geworden. Zwei Weltkriege in einem Leben. Das ist schon was.“
„Kaum vorstellbar.“ Hafner schaute Polt ernst ins Gesicht. „Ich habe viel Geld, und Sie sind reich, mein Lieber. Gratulation.“
„Wir müssen noch reden, Herr Hafner.“
„Ich weiß. Eine Frage zuvor. Ich bin schrecklich hungrig. Haben Sie irgendwas zu essen für mich?“
„Im Keller liegen drei Wurstsemmeln und zwei Flaschen Bier. Das können wir teilen.“
„Danke!“
Polt holte den Papiersack und deutete auf die steinerne Bank im Schatten. „Recht so?“
„Elysisch, mein Lieber.“
Der Gendarm packte die Semmeln aus. „Gläser gibt’s keine. Trinken wir eben aus der Flasche.“
Hafner griff in die Hosentasche. „Darf ich mein neuestes High Tech Gerät einsetzen? Ein Schweizer Taschenmesser. Zeigt Uhrzeit, Datum, Höhenmeter und Temperatur an. Einen Stoppelzieher und einen Bieröffner gibt es natürlich auch.“
Schweigend aßen und tranken die beiden.
Dann lehnte sich Hafner zurück. „Vier Hauben. Idealnote, bisher noch nie vergeben.“
„Und was noch?“
„Sie sprechen meine plötzliche Abreise an? Feigheit, Bequemlichkeit oder eine Kombination aus beidem. Ich habe eine Menge Unannehmlichkeiten auf mich zukommen gesehen und wollte die Zahl der Gespräche mit diesem Herrn Inspektor aus Wien möglichst reduzieren. Wie heißt er doch gleich?“
„Kratky.“
„Ja richtig. Vergesse ich immer wieder gern. Dabei habe ich erst vor kurzem mit ihm telefoniert. Die Sache ist so: Er hat mit dem Verdacht natürlich recht, daß ich der Autor dieser übelmeinenden Kritiken war.“
„Dann haben Sie also mit voller Absicht die Frau Pröstler beruflich unmöglich gemacht?“
„Mehr noch. Ich bin zu einem guten Teil daran schuld, daß sie den Halt verloren und zu trinken angefangen hat. Ich war 23 damals. Unerträglich eingebildet. Heute spiele ich den Menschenverachter, damals war ich einer.“
„Und weiter?“
„Daß ich mit ihrem Tod unmittelbar nichts zu tun habe, wird sich herausstellen. Lieber Herr Inspektor, ich werde das bittere Ende unter Ihren Augen hier im schönen Wiesbachtal abwarten. Irgendwie geht’s mir auch darum, ein sehr blamables Kapitel in meiner Biographie mit Anstand abzuschließen, so weit das überhaupt noch möglich ist. Eine andere Frage: Wie geht’s der Grete Hahn?“
„Nicht gut.“
Hafner senkte den Kopf. „Ist doch was dran, an der viel zu oft zitierten unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Inspektor Kratky hat mir übrigens versprochen, mein Pseudonym von damals nach Möglichkeit pfleglich zu behandeln.“
„Schön für Sie. Eine Frage noch. Sie erinnern sich bestimmt an das Feuer im Zeughaus und an dieses vorhergehende – äh – Vorkommnis?“
„An den Scheißhaufen vor dem Gemeindeamt? Ich denke immer wieder gern daran.“
„Ihr Freund Peter Paratschek hat sich in dieser Richtung verdächtig gemacht, und er meint, Sie könnten ihn entlasten.“
„Entlasten? Diese Laus? Ich wüßte nicht wie und erst recht nicht warum. Aber darf ich erfahren, wie Sie auf ihn kommen?“
„Er hat nachts dem Löwen vom Kriegerdenkmal einen Damenhut aufgesetzt.“
„Nicht schlecht. Diese Idee ist aber mit Sicherheit nicht von ihm. So originell war der nie.“ Hafner schaute zur Kellergasse hin. „Da biegt ein Fahrrad ein, Herr Polt. Wir bekommen Damenbesuch.“
Der Gendarm war aufgesprungen. „Karin! Herzlich willkommen hier!“
Auch Hafner hatte sich erhoben. „Ich bin zwar ein Lümmel, aber ich weiß, wenn ich störe. Adieu!“
Karin schaute ihm nach. „Ich denke, der ist nicht auffindbar?“
„War er auch nicht, bis vor kurzem. Aber das ist jetzt unwichtig. Darf ich zur Besichtigung bitten? Das Preßhaus kennst du ja schon von früher.“
„Nicht wirklich. Es war nicht deines, damals. Komm, gehen wir!“
Als die beiden im Keller angelangt waren,
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