Polt - die Klassiker in einem Band
frühmorgens gesehen, wie ich von dir weggegangen bin.“
„Kein Wort hat er gesagt.“
„So was von diskret. Kommst du zu mir nach Hause?“
„Sehr gern. Aber ich hab einen Nachtdienst hinter mir, bin schlecht aufgelegt und brauche deinen Rat.“
„Also nichts zu holen, derzeit, für eine verliebte Lehrerin?“
„ Nichts zu holen stimmt nicht. Aber …“
„Gib dir keine Mühe, Simon. Ich versteh schon. Auch wenn du dich etwas unverbindlich ausdrückst.“
„Ich bin noch am Üben.“
„Sehr gut, setzen. Hat der Fürst Franzl immer gesagt. Eigentlich ist so ein Mensch unsterblich, Simon. Vielleicht sitzt er jetzt bei mir zu Hause in der Küche und säuft mir die letzte Flasche Wein weg.“ Karin wurde ernst. „Kannst du mir eine Bitte erfüllen?“
„Natürlich.“
„Ich tät’s ja selber. Aber ich bring’s nicht fertig. Bevor die Sachen in seinem Preßhaus und im Keller verkommen – könntest du alles für mich einsammeln?“
„Die tote Krähe auch?“
„Esel. Natürlich nicht.“ Karin sperrte die Haustür auf. „Früher war im Dorf jedes Tor offen. Da hat sich viel geändert, leider. Komm in die Küche, Simon.“ Sie öffnete die Kühlschranktür. „Was könnte ich dir anbieten? Diät-Früchtejoghurt, zum Beispiel. Nur 1% Fett!“
„Also her damit.“
Karin entfernte den Stanniolverschluß und leckte ihn sauber. Polt beobachtete sie. „Sehr nett machst du das!“
„Vergiß nicht, daß du einen Nachtdienst hinter dir hast, schlecht aufgelegt bist und meine Hilfe brauchst.“
„Schon gut. Also, wie anfangen? Ich hab dir ja schon ziemlich viel erzählt. Heute nacht sind noch Aspekte dazugekommen, skurrile und rabenschwarze.“
Polt berichtete.
Karin schaute ins Leere. „Arme Amalie, armer Virgil Winter, auch wenn er recht haben sollte.“
„Mir leuchtet nicht alles von dem ein, was er sagt. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu blöd dazu. Immerhin wird aus dem Wirrwarr schön langsam eine Geschichte. Sie hat aber zwei unangenehme Fehler: Ich kenn das Ende nicht, und mittendrin gibt’s einen Knick, den ich mir nicht erklären kann.“
„Und wenn der Knick die Erklärung ist? – War nur so dahingedacht.“
Polt schaute überrascht hoch. „Wenn du damit recht hast, Karin …“
„Was dann?“
„Egal. Tolle Idee jedenfalls!“ Er küßte sie feierlich.
„War das jetzt das Nichts-zu-holen-stimmt-nicht von vorhin?“
„Noch nicht ganz.“
Am Nachmittag klemmte Polt einen dicken Stapel von Einkaufstaschen aus Papier und Plastik auf seinem Gepäckträger fest und radelte los. Wie üblich mußte er das letzte Stück der Kellergasse schieben. Als er sich dem Preßhaus näherte, in dem Franz Fürst zuletzt gewohnt hatte, erschrak er heftig, weil er auf der Wiese davor jemanden liegen sah. Bald aber erkannte er den schlafenden Bruno Bartl. „He, Bruno! Aufwachen!“
Bartl schlug die Augen auf. „Herr Inspektor Polt! Bringen Sie auch was zurück?“
„Nein, ich nicht. Aber was bringst du zurück?“
Bartl holte eine leere schlanke Flasche aus dem Hosensack. „Die da. Weil sie nicht mir gehört.“
„Um Himmels willen, Bruno! Was war da drin?“
„Schnaps. Der Herr Fürst hat auch Schnaps machen können.“
Polt konnte sich nicht zurückhalten und nahm den schmächtigen Mann für ein paar Sekunden in die Arme. „Entschuldige, Bruno. So ist das also! Und bei der Gelegenheit schaust du auch gleich nach, ob sich noch eine volle Flasche findet?“
„Dem Herrn Fürst wär’s recht gewesen. Und die leere bring ich dann zurück.“
„Noch was, Bruno, weil gerade von Flaschen die Rede ist. Du hast doch einmal gesagt, daß der Pfarrer die Amalie umgebracht hat, weil sie an seinem Wein gestorben ist. Hast du damit vielleicht auch gemeint, daß ihr der Pfarrer den Wein gegeben hat?
„Hab ich. Die Amalie hat’s mir erzählt, am Abend, bevor sie gestorben ist.“
„Herrgott, also doch! Weißt du mehr darüber?“
„Lieb wollte er halt sein, der hochwürdige Herr Pfarrer.“
„Und weiter?“
„Nichts. Was ist jetzt mit dem Schnaps, Herr Inspektor Polt?“
„Na, gut. Komm! Ich helf dir suchen.“
Tatsächlich lag im Keller eine mit farbloser Flüssigkeit gefüllte Flasche. Polt öffnete sie, roch daran, kostete vorsichtig und gab sie Bartl. „Da, Bruno! Übertreib nicht damit. Und jetzt werf ich dich hinaus, es wartet eine Menge Arbeit auf mich.“
Gegen Abend waren die Säcke prall gefüllt. Polt verknotete sie mit Spagat, den er gefunden hatte, und
Weitere Kostenlose Bücher