Polt - die Klassiker in einem Band
behängte sein Fahrrad über und über. Staubig und verschwitzt machte er sich auf den Heimweg. Sein Versuch, Aloisia Habesams Gemischtwarenhandlung ungesehen zu passieren, scheiterte. Muränengleich schoß die rüstige Kauffrau aus dem Gewölbe.
„Da schau her, ist es also endlich soweit! Das kommt davon, wenn man sich ein Preßhaus kauft, statt Miete zu zahlen. Kein schönes Leben auf der Straße, wie? Wollen S’ einkaufen, Herr Polt? Ich hab Inländerrum im Sonderangebot.“
„Ich bin nur der Nachlaßverwalter vom Franz Fürst, Frau Habesam.“
„Hoffentlich haben S’ wenigstens auch die Karin geerbt von ihm.“
„War nicht notwendig.“
„So? Nicht? Und was ist mit dem Herrn Pfarrer? Hat er schon eine Neue oder weint er sich noch immer die Augen aus?“
„Keine Ahnung. Aber jetzt frag ich Sie einmal was, weil Sie eine erfahrene Frau sind, die sich auskennt mit dem Leben. Dem armen Firmian Halbwidl ist ein ganzes Weinfaß mit Essigsäure verdorben worden. Können Sie sich bei uns im Wiesbachtal jemanden vorstellen, der so was fertigbringt?“
Frau Habesam überlegte nicht lange. „Nein. Da muß eher ein Mensch dran glauben. Aber passiert ist es. Also war’s ein Verrückter. Wollen S’ nicht doch was kaufen, Herr Polt? Seife könnt vielleicht nicht schaden.“
„Dreck ist gesund und härtet ab.“
„Dann können S’ ja gleich mit dem Bartl Bruderschaft trinken. Haben Sie übrigens gewußt, Inspektor, daß er in jungen Jahren in Breitenfeld in die Mittelschule gegangen ist? Leicht hat er es zu Hause aber nicht gehabt. Wenig zu essen, jede Menge Prügel. Sein Vater, der Gregor, war Händler in der Gegend. Stinkreich und so geizig, daß er am Ende erfroren ist, weil er im Winter nicht geheizt hat.“
„Und der Bruno?“
„Der hat seinem toten Vater alles heimgezahlt. Der Name Bartl hat einmal was gegolten im Wiesbachtal. Der Bruno hat damit Schluß gemacht, hat mit dem Lernen aufgehört, Hof und Weingärten versoffen und eine Frau geheiratet, die sonst keiner genommen hat. Nach dem ersten Kind ist sie gestorben. Ich seh den Bartl noch vor mir, wie er am offenen Grab gestanden ist. Wieder jemand weniger, hat er gemurmelt. Ich hab eigentlich geglaubt, daß er ihr bald nachgehen wird.“
„Und das Kind?“
„In irgendeinem Heim.“
„Freunde hat er nie gehabt, der Bruno?“
„Da kennen Sie das Dorf schlecht, Inspektor. Wer nichts hat, ist nichts. Und so einem weicht man besser aus.“
„Aber der Halbwidl und der Fürst, die waren doch in den letzten Jahren ganz gut mit dem Bartl. Und dann noch die Amalie Pröstler!“
„Warum nicht? Hat keiner dem anderen was vormachen müssen. Na ja, bei der Frau Pfarrersköchin hat wenigstens das Äußere gestimmt. Aber jetzt ist die schöne Larve weg. Wann ist denn endlich das Begräbnis?“
„Weiß nicht.“
„Das kennt man, von der Gendarmerie. Ist der Halbwidl übrigens noch Mesner? Oder hat der Pfarrer den alten Kerzlschlucker endlich hinausgeschmissen?“
„Warum endlich , Frau Habesam? Der Firmian ist doch tüchtig in seinem Amt.“
„Der bessere Pfarrer, nicht wahr? Der bessere Bürgermeister war er auch schon einmal, als Gemeindearbeiter. Lassen S’ mich in Ruhe mit dem.“
„Es mag ihn halt keiner so recht. Aber einen richtigen Feind hat er nicht, oder?“
„Höchstens sich selber. Wollen S’ nicht doch was kaufen, Herr Inspektor?“
„Ein anderes mal.“ Polt setzte sein Fahrrad in Bewegung.
„Falsche Richtung! Die Karin wohnt da hinten.“
„Ich will aber nach Hause, endlich.“
Polt hatte das Fahrrad den ganzen Weg über neben sich hergeschoben. Als er zu Hause ankam, war er todmüde. Er räumte Franz Fürsts Habseligkeiten in eine leerstehende Kammer, in der früher Kaninchen gehalten worden waren. Dann kramte er die schmale Broschüre hervor, die ihm der Lehrer einmal gezeigt hatte. Der Hut auf dem Umschlag war ihm inzwischen ebenso vertraut wie dieses seltsame Wort: Revolit. Da war alles drin, vom idealistischen Anfang bis zum ausweglosen Scheitern.
Unwillkürlich suchte Polt nach Ansatzpunkten für seine eigenen Gedanken. Wer andere erniedrigt, zeigt damit, daß er niedrig ist, las er, oder Versöhnung ohne Veränderung ist ein billiger Trost. Veränderung ohne Versöhnung aber bleibt krampfhaft und führt leicht zum Terrorismus. Ja, und dann noch: Das schlimmste Übel, an dem die Welt leidet, ist nicht die Stärke des Bösen, sondern die Schwäche des Besseren.
„Danke, Franz Fürst“, murmelte Simon
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