Polt - die Klassiker in einem Band
haben uns angeschaut, und dann ist etwas ganz Verrücktes passiert: Wie die Wilden sind wir hinüber, um den Hahn zu retten. Glauben Sie mir, Herr Inspektor, wir hätten ihn wirklich heraufgeholt, wenn’s noch möglich gewesen wäre, und wir hätten alles getan, damit er überlebt.“
„Klar“, sagte Polt. „Man läßt keinen hilflos im Keller liegen.“ Dann senkte er den Kopf und legte sein Gesicht zwischen beide Handflächen.
„Ist jetzt alles klar?“ fragte Brunner freundlich.
„Eben nicht. Die anderen drei hängen immer noch drin. Anstiftung, Beihilfe, was weiß ich.“
„Verstehe.“
Karl Brunner schaute Polt fast schüchtern ins Gesicht. „Könnten Sie mir bis morgen früh Zeit lassen? Ich muß mit denen reden und meine Sachen soweit in Ordnung bringen.“
„Ich weiß nicht“, sagte Polt.
Karl Brunners Gesicht war ganz ruhig, und um seine Augen spielte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. „Was ändern die paar Stunden?“
Simon Polt sagte nichts, berührte mit der Hand die Schulter des Alten, nickte ihm zu und ging.
Draußen war es eiskalt geworden. Polt hatte plötzlich körperlich spürbare Angst. Die schmucklosen weißen Preßhäuser standen da wie ungeschlachte Wesen aus einer vergessenen Zeit, und in ihren einfachen Gesichtern mit den kleinen Fensteraugen und Türmündern war Traurigkeit zu lesen. Es lag etwas Endgültiges in diesen klaren, archaischen Formen.
Zu Hause angekommen, fing Simon Polt an zu trinken. Es dauerte Stunden, bis seine Gedanken endlich wie Seifenblasen platzten und sich die Bilder in seinem Kopf in träge bewegte Farben auflösten.
Es war nichts Dramatisches. Es überkam Polt wie eine warme, weiche, erstickende Welle. Irgendwann fing er an zu weinen, leise und resignierend. Als er die Tränen im Gesicht spürte, wischte er sie mit einer unwilligen Handbewegung ab, gab sich einen Ruck und ging schlafen.
Post für Polt
Als der Gendarm mit trockenem Mund und Kopfschmerzen aufwachte, hatte er noch eine Stunde Zeit bis zum Dienstbeginn. Nach ein paar Sekunden begriff er auch, was ihn aufgeweckt hatte: Jemand klopfte an seine Tür.
„Hier“, sagte Ernst Höllenbauer, „ein Brief für dich. Hat früh am Morgen ein Bub aus Brunndorf vorbeigebracht.“
„Um Himmels willen. Gib schnell her.“ Polt öffnete ungeschickt und mit zitternden Händen den Umschlag, ließ ihn achtlos zu Boden fallen und hielt dann ein liniertes Blatt Papier in den Händen, beschrieben mit klarer, ungeübter Schulschrift. Ganz oben stand „Karl Brunner, Brunndorf 28“ und darunter „An Herrn Gendarmerieinspektor Simon Polt, Burgheim 56.“ Unwillkürlich las Polt halblaut.
Geständnis. Ich, Karl Brunner, habe am siebenten Oktober dieses Jahres mit Hilfe einer Dunstwinde und durch ein Verbindungsrohr den Keller des Albert Hahn mit Gärgas gefüllt. Ich habe das in der Absicht getan, ihn zu töten, weil er so viel Schuld auf sich geladen hat und weil ihn die Gerichte nicht fassen konnten. Ich bin allein zu diesem Entschluß gekommen und habe die Tat allein begangen. Als Albert Hahn dann seinen Keller betrat, bemerkte das mein Nachbar, Friedrich Kurzbacher, und holte mich zu Hilfe. In diesem Augenblick konnte ich nicht anders, und wir liefen in den Keller, um Albert Hahn zu retten. Er war aber zu schwer für uns, und so mußte er sterben. Da ich alt und sehr krank bin, möchte ich mir Unangenehmes ersparen und werde die Sache auf dem Dachboden mit einer Waffe erledigen, die noch aus der Russenzeit im Haus ist.
Gott vergebe mir meine Sünden.
Karl Brunner.
Der Gendarm verstummte und stand da wie erstarrt.
„Was jetzt?“ fragte der Höllenbauer nach einer Weile.
Simon Polt gab lange keine Antwort. Dann faltete er Brunners Schreiben sorgfältig zusammen. „Das ist nicht nur ein Geständnis, sondern auch ein Testament, das ich zu erfüllen habe. Gehört sich wohl so, glaube ich.“ Dann ging er zum Telefon und veranlaßte alles Nötige. Wenig später übergab er in der Dienststelle das Dokument seinem Vorgesetzen.
Karl Mank las es sorgfältig, las es noch einmal und schaute Polt fragend ins Gesicht. „Nach allem, was du weißt, ist es so gewesen?“
„Es wäre sinnlos, dran zu zweifeln.“
„Allerdings. Geradezu blöd. Du machst dich gleich an deinen Bericht, ja?“
„Was bleibt mir anderes übrig.“
Tags darauf rief Inspektor Kratky aus Wien an. Polt sah dieses illusionslose Steuerprüfergesicht förmlich vor sich. „Saubere Lösung, nicht wahr? Obwohl es einem um den Alten
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