Polt - die Klassiker in einem Band
leid tun muß. Aber sagen Sie einmal, Herr Kollege, halten Sie moralische Entrüstung wirklich für ein brauchbares Mordmotiv?“
„Muß ich wohl“, antwortete der Gendarm. „Vielleicht hatte er auch noch andere Gründe, die er lieber für sich behalten hat. Jedenfalls werden wir sie wohl nie mehr erfahren. Wissen Sie“, fügte er hinzu, „im Grunde hat das halbe Dorf den Hahn umgebracht, und die andere Hälfte hatte nichts dagegen.“
Kratky seufzte. „Ihr da draußen, mit euren ehrenwerten Untätern. Da lob ich mir einen echten Gauner, bei dem man weiß, woran man ist.“
Zwei Tage vor Weihnachten, am späten Nachmittag, wurde Karl Brunner begraben. Es war eine würdige Abschiedsfeier, an der fast das ganze Dorf teilnahm. Während nachher seine wenigen Verwandten im Gasthaus Stelzer zusammensaßen, hatten sich Nachbarn und Freunde des Toten in Friedrich Kurzbachers Keller eingefunden. Auch Simon Polt war dabei. Es wurde viel Rühmliches über Karl Brunner gesprochen. Später, als alle schon ein wenig mehr getrunken hatten, kam dann auch noch vorsichtige Heiterkeit auf. Simon Polt hielt sich abseits, doch Josef Schachinger erspähte ihn und trat näher. „Sie sind ja doch wie wir“, sagte er leise.
„Nein, bin ich nicht“, antwortete der Gendarm fast grob, wandte sich ab, suchte den Kurzbacher. „Bist du mir böse, Friedrich, wenn ich gehe? Mir wird das alles zu viel hier.“
„In Ordnung. Soll ich dir eine Flasche mitgeben, als Schlaftrunk?“
„Nein, lieber nicht.“
Kaum zu Hause angekommen, erschrak Simon Polt, weil das Telefon Lärm machte. „Ja? Polt?“
„Ich bin’s, Karin. Dir geht es nicht gut, wie?“
„Ja.“
„Soll ich …“
„Nein.“
„Also gut.“
Er hörte, wie sie auflegte.
An diesem Abend trank Simon Polt keinen Tropfen. Er saß nur da und strich immer wieder mit seiner rechten Hand, die noch Spuren von Bruno Bartls Zähnen zeigte, über Stirn und Augen, als wollten Kopf und Hand einander etwas erzählen.
Blumen für Polt
Blumen für Polt
Kinderglück
Gendarmerieinspektor Simon Polt bremste sein altmodisches Fahrrad ab, atmete tief durch und schaute übers Land. „Grüß dich, Frühling“, sagte er.
Noch waren viele Ackerflächen schwarz, und die Rebstöcke wirkten kahl, obwohl sie schon winzige Blattansätze hatten. Nach einem milden Winter trugen einige Bäume schon frisches Laub, und im weithin gedehnten Schachbrettmuster der Felder schuf die Wintergerste grüne Flächen. Vor allem aber wucherte und blühte das Unkraut an den Wegrändern. Dort, wo das Gelände steiler abfiel, oder auch an Hohlwegen, standen zart begrünte Akazienstauden, bald würden Weißdorn und Flieder blühen.
Die Sonne wärmte schon so richtig an diesem frühen Nachmittag. Polt stand im Schatten einer kleinen Baumgruppe, die eine verwitterte Mariensäule umfing. Hier war der Weg vom Talboden aufwärts zu Ende. Ein paar Meter weiter, in einer kleinen Senke, verlief die Grenze zu Tschechien. Unten, in den Bauerngärten der Dörfer, blühten schon Märzenbecher und Stiefmütterchen. In den Kellergassen, die sich nach Norden hin den Hang hochzogen, waren die Fensterluken der Preßhäuser geöffnet, und Holzgitter ersetzten die festen Türen, damit frische Luft durchströmen konnte. An ihren oberen Enden verloren sich die langen Reihen der kleinen weißgekalkten Gebäude in weitläufiger Stille. Polt mochte diese großzügige Landschaft, in der es weder Haus noch Hütte gab. Nichts verstellte hier den Blick, der Himmel war sehr hoch. Und dann noch Frühling, das war schon was. Eine Zeit schöner Unvernunft, da mußte man einfach seiner Wege streunen, wie ein wohlgelaunter Hund. Schon als Kind hatte Polt diese glückliche Unruhe gespürt und war ihr an die Sonnenseite des Tales gefolgt, wo die Steine um die Mittagszeit schon warm waren wie ofenfrisches Brot. Aufregend roch so ein junges Jahr, nach Gras und Blüten, nach Aufwachen, bettwarm und träge. Oder auch nach warmer Feuchtigkeit, auf halbem Weg zwischen Kastanienblüten und nassen Socken. Und wenn man seine Nase ins Fell einer Katze steckte, roch es nach Sünde und Zigeunerleben.
Polt war ganz einfach guter Dinge an diesem dienstfreien Tag. Im Gasthaus Stelzer in Brunndorf hatte er ein Brathuhn mit flaumiger Semmelfülle verzehrt und ein Glas Bier dazu getrunken. Jetzt ließ er sich vom Wind der Laune tragen, und der große, nicht eben schmächtige Mann fühlte sich erstaunlich leicht. Als er sein Fahrrad wieder in Bewegung
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