Polt - die Klassiker in einem Band
Weinbauern hatten Freunde von auswärts eingeladen. Natürlich war auch Aloisia Habesam da, Inhaberin der unbestritten gut sortierten Burgheimer Gemischtwarenhandlung und gefürchtete Kennerin aller Neuigkeiten, Geheimnisse und Gerüchte des Wiesbachtales. Im Vorbeigehen warf sie Polt einen taxierenden Blick zu, sprach ihn aber überraschenderweise nicht an.
Dann sah der Gendarm den Pfarrer und den Bürgermeister einträchtig vor dem Höllenbauer-Preßhaus sitzen, grüßte und lehnte freundlich ab, als er eingeladen wurde, an ihren Tisch zu kommen. Er wollte erst einmal die ganze Kellergasse durchwandern, einfach unter Leuten sein.
Ein paar Preßhäuser weiter verdüsterte sich seine Laune allerdings. Schon zuvor hatte er sich über plärrende Lautsprechermusik geärgert, Musikantenstadlschwachsinn übelster Sorte. Jetzt stand er vor einem Preßhaus, das mit ungehobelten Brettern in eine Art Almhütte verwandelt worden war. „Charlys Ranch“ war auf einem lackierten Holzschild zu lesen. Vor der Tür ergänzten ein Tisch und zwei Sessel aus weißem Plastik das Bild. Ein Kassettenradio lärmte einsam vor sich hin. Polt hatte wenig Lust, auch noch die Bewohner von Charlys Ranch kennenzulernen und ging rasch weiter.
„Furchtbar, nicht wahr?“ Polt erkannte Dieter Moltkes Stimme, der sich ihm raschen Schrittes genähert hatte, weil sein großer Jagdhund ungestüm an der Leine zog.
„Wohin so eilig?“
„Fragen Sie meinen Hund. Aber vielleicht gelingt es mir, vor Sepp Räuschls Preßhaus eine Notbremsung hinzulegen. Der hat einen Grünen Veltliner im Keller, noch unfiltriert. Mein lieber Freund!“
„Weiß ich, ich habe gekostet, vor ein paar Tagen erst. Bis später also vielleicht!“ Polt blieb stehen und schaute ins Leere. Dann ging er müde zum Höllenbauer-Preßhaus zurück und trat ein. „Kann ich was zu trinken haben?“
„Immer.“ Ernst Höllenbauer musterte seinen Freund nachdenklich. „Was darf’s denn sein?“
„Was du meinst.“ Gedankenlos trank Polt das Glas mit dem Blauburger halbleer.
„Erwischt, Herr Inspektor! Das war eine Trinkgeschwindigkeits-Übertretung.“
Jetzt erst bemerkte Polt, daß Karin Walter neben ihm stand und vorbildlich maßvoll an ihrem Glas nippte.
„Hallo, Karin, schön, dich zu treffen. Ich war ganz woanders, entschuldige.“
„Schon gut.“
Sie stieß ihr Glas an das seine, und gleichzeitig spürte Polt eine Fingerkuppe, die wie zufällig seine Hand berührte. Natürlich werde ich jetzt rot, dachte er, hoffentlich schaut keiner.
Aloisia Habesam zerstreute seine Bedenken. Als ihre kleine Gestalt in der Tür des Preßhauses erschien, verstummten die Gespräche, und alle Blicke wandten sich ihr zu. „Was gibt es hier zu schauen?“ Zielstrebig kam sie näher. „Wenn ich als schwaches Weib schon einmal ausnahmsweise willkommen bin in der Kellergasse, möchte ich auch mittrinken, und zwar ordentlich.“
Ernst Höllenbauer nickte gehorsam. „Was ist? Gehen wir in den Keller?“ fragte er die kleine Runde, die im Preßhaus versammelt war. Widerspruch war nicht zu erwarten, also ging der Weinbauer schon einmal voraus.
„Zweiundvierzig Stufen sind’s“, sagte Simon Polt zu Karin Walter, als sie hinunterstiegen. „Am Ende der Kellerröhre gibt es 18 Meter unter der Erde einen kunstvoll gewölbten Raum, ein sogenanntes böhmisches Platzl.“
„Wenigstens im Keller kennt sich die Gendarmerie aus, nicht wahr?“ Karin schaute ein wenig mißtrauisch auf die feuchten, abgetretenen Stufen. Simon Polt hörte nicht richtig hin, weil er sich ziemlich aufgeregt darauf konzentrierte, neben seiner unverhofften Begleiterin Schritt für Schritt in die Tiefe zu tauchen. Als sich die Runde hinter einer langen Reihe mächtiger Fässer zum Kosten versammelt hatte und Ernst Höllenbauer zum Weinheber griff, schaute sich die Lehrerin neugierig um. Sie entdeckte einen schmalen Durchgang. „Wo geht’s denn da hin?“
Ernst Höllenbauer schob zwei einfache Kerzenleuchter und eine Schachtel Zündhölzer über den Tisch, auf dem die Kostgläser standen. „Wie wär’s mit einer Kellerführung, Simon?“
„Wenn du meinst.“
Eine gute Weile durchforschten Simon Polt und Karin Walter die ausgedehnte und verwirrend verwinkelte Unterwelt. Dann blieb Polt stehen. „Jetzt brauchen wir Kerzenlicht.“ Dicht nebeneinander gingen die beiden weiter. Karin roch gut, fand Polt. Ungefähr so, als wüchse im Keller ein Stück Unkrautwiese. Der kleine Seitengang endete in einer
Weitere Kostenlose Bücher