Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Poltergeist

Titel: Poltergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
Vom Netzwerk:
entdeckte. In der Nähe der Fenster schwebte ein perlmuttfarbener Fleck. Dort hatten Generationen von Mietern gestanden und hinausgeblickt, ihre Pflanzen gegossen oder im Sonnenlicht gesessen und gelesen.
    Ich drang tiefer in das Grau ein, bis zu den Leitungen des Netzwerks. Strahlendes Weiß, Gelb und Blau beherrschten den Raum zwischen den Welten. Wie so oft wurde mir beim Anblick der scheinbaren Leere unter meinen Füßen schwindlig. Selbst Autos hinterließen eine verwischte Spur aus Energie, die sich mir auf der Aurora-Bridge zeigte. Das Grau, das hier von einem Neongitter durchzogen wurde, drang bis in die Kälte der Kanäle hinab.
    Verschmierte Flecken aus Rot und Gelb, die mich an farbgetränkte Wattebäuschchen erinnerten, schwebten nur wenige Meter vor mir in der Luft. Sie schienen an einem unsichtbaren Haken zu hängen und bewegten sich kaum. Eine diffuse Form aus Schwarz und Rot umkreiste sie. Neugierig ging ich darauf zu. Die Form lockte mich zu sich. Es war
Carlos in der Tiefe des Grau. Seine Gestalt kam mir auch hier schwerer und undurchdringlicher vor, als ich es erwartet hatte, während sie gleichzeitig seltsame Löcher und Risse aufwies.
    Ich hielt meine Augen auf sie gerichtet und kehrte langsam in die Normalität zurück. Auf diese Weise konnte ich beobachten, wie sich die Gestalt aus reiner Energie allmählich verwandelte und immer mehr Schichten aus Kraft, Bildern und Erinnerungen gewann. Zersplitterte Fragmente aus glitzerndem Eis tanzten in Carlos und bildeten kleine Cluster. Darin konnte ich plötzlich Teile seiner Geschichte sehen, ehe er wieder die dunkle bullige Figur aus Schatten und Blut wurde, die ich nur allzu gut kannte.
    Ich tauchte aus dem Grau auf. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Carlos sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wir standen vor der blutverschmierten Wand und betrachteten beide den Abdruck, den Marks Körper darin hinterlassen hatte. Inzwischen waren die roten und gelben Fäden darin für mich kaum mehr zu erkennen. Carlos hingegen zog problemlos einen Faden aus dem Grau und begutachtete ihn neugierig.
    »Das stammt von deinem Poltergeist.« »Dann war er also hier.« »Ja, das war er. Ein seltsamer Geist, wie du schon gesagt hast. Es fällt mir schwer, ihn zu lesen, da er nicht tot ist. Er lebt. Es ist ein lebendiges Wesen aus Energie, das von einem unwissenden Willen erschaffen wurde und sich aus vielen Kraftfeldern zusammensetzt. Eines dieser Felder ist nicht lebendig. Es ist zwar eine natürliche Energiequelle, aber nicht menschlicher Natur. Es ist auch nicht das Leben dieses Mannes, der hier gestorben ist. Er gehörte nicht zu diesem seltsamen Geschöpf.«

    »Was ist es dann? Die Kreatur wird zwar als Poltergeist bezeichnet, aber das scheint sie gar nicht zu sein.«
    »Es ist ein Gedankenwesen«, antwortete er. »Die Ansammlung verschiedener Willensäußerungen vereint in einer Energiequelle, über die sie zufällig gestolpert sind. Es besteht aus Zeit, Erinnerung und bestimmten Dingen, die aus ihrem angestammten Platz im Netz menschlichen Verlangens herausgerissen wurden. Es sollte eigentlich nicht so mächtig sein, wie es ist. Aber offensichtlich hat es eine weitere Energiequelle gefunden. Eine merkwürdige Kreatur …«
    Er spielte mit dem Faden zwischen seinen Fingern und atmete den Geruch ein, den er verströmte. Nach einer Weile runzelte er die Stirn und sah mich fragend an.
    Ich warf einen Blick auf die blutverschmierte Wand. »Könnte es dafür verantwortlich sein?«
    »Es ist dafür verantwortlich. Da gibt es keinen Zweifel. So etwas würde ich von Kreaturen des Tageslichts normalerweise nicht erwarten. Aber derjenige, der das Wesen unter seiner Kontrolle hat, ist nicht zu bremsen.«
    »Wurde es denn kontrolliert? Von einem einzelnen Menschen?«
    »Ja, bestimmt. Auch wenn der Geruch recht eigentümlich ist.« Er zog einen weiteren Faden aus dem Grau. Mich schauderte. »Es riecht auch nach dir, sowie nach Zorn und Wahnsinn. Vielleicht auch nach Überraschung und Verlangen? Komisch …« Er ballte die Faust, und der Energiefaden rieselte wie Staub aus seiner Hand. »Warum riecht es nach dir?«
    »Ich bin heute hineingefallen und wurde außerdem mindestens einmal zuvor während einer der Séancen davon erwischt«, erwiderte ich. »Das könnte der Grund dafür sein.«

    Carlos runzelte die Stirn, und kalte Wellen schienen sich über der Oberfläche des Grau auszudehnen. »Ich habe nicht gesagt, dass du danach riechst, auch wenn der Geruch

Weitere Kostenlose Bücher