Poltergeist
aus. »Ja, hat er. Man könnte ihn durchaus als kleinen Rammbock durchgehen lassen.«
Ben beugte sich zu seinem Sohn, hob ihn hoch und stellte ihn auf die Füße. Er hielt den Zweijährigen am Kragen fest, während dieser versuchte, wieder die Flucht zu ergreifen.
Der Vater bedachte den Sohn mit einem finsteren Blick aus seinen blauen Augen, der so bedrohlich wirkte wie ein Wattebausch.
»Brian, hast du Harper umgerannt?«
»Brian Nashorn!«, brüllte Brian und sprang auf und ab, während er begeistert in die Hände klatschte. »Graahh! Graahh!«
Ben seufzte. »Das heißt nicht Brian Nashorn, Brian. Es heißt ›Ich bin‹. ›Ich bin ein Nashorn‹. Verstehst du das?«
Brian sah seinen Vater mit weit aufgerissenen Augen und
offenem Mund an. Dann begann er wieder lauthals zu brüllen. »Ja, ja, ja! Daddy Nashorn!« Dann senkte er den Kopf und rammte ihn gegen Bens Schienbein.
Ben rollte mit den Augen. »Oje … Für dich gibt es eindeutig keine Tierfilme mehr. Kommt, gehen wir ins Haus.«
Sein Sohn sah ihn empört an. »Will nicht!«
»Aber es ist gleich Fütterung. Heute gibt es für Nashörner ein Käse-Sandwich.«
Der Junge war nachdenklich geworden. »Mit Gurke?«, wollte er wissen.
»Ja, mit Gurke und Tomatensuppe.«
»’matensuppe!«, schrie Brian und stürmte ins Haus.
Ben blickte ihm hinterher und sah dann mich an. Sein schwarzes Haar war zerzauster als sonst, und sein Gesicht war unter dem lockigen Bart ziemlich schmal geworden. Die Augen lagen tiefer, als ich es in Erinnerung hatte. »Willkommen im Zoo«, sagte er und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen.
Wir gingen gemeinsam in die Küche. »Seit wann hat er denn seine Nashorn-Phase?«
»Seit etwa einem Monat. Gleich nach ›Jag-aar‹ und ›Hundi‹. Die dauerten nur eine Woche. Das Nashorn scheint sich aber nicht so leicht vertreiben zu lassen.« Er gab einen tiefen Seufzer von sich.
»Vielleicht liegt das ja auch an der Gesellschaft, die er so pflegt. Albert scheint ihn ein bisschen anzustacheln.«
Ben runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, während er den Teller mit dem bereits vorbereiteten Sandwich nahm. »Albert … Manchmal frage ich mich wirklich, ob er so freundlich ist, wie Mara das immer behauptet. Ich finde, dass er ganz schön unangenehm werden kann.«
Ich hatte schon immer vermutet, dass Albert nicht so nett
war, wie Mara zu glauben schien. Selbst wenn er half, verursachte er ziemlichen Ärger. Man wusste nie so recht, woran man bei ihm war. Albert besaß keine Aura, sondern nur einen Körper aus Grau, den er entweder zeigte oder nicht, je nachdem, wie ihm das gerade passte.
Während Ben den Nashorn-Jungen mit einem Käse-Gurken-Sandwich fütterte, das so schnell verschwunden war, als handelte es sich um einen Krokodil-Jungen, stellte ich meine Fragen über das Philip-Projekt. Bens Augen funkelten angeregt, als er mir antwortete und gleichzeitig seinen Nachwuchs versorgte.
»Ach, es geht um die Philip-Experimente! Die stellen ja quasi die kalte Fusion in der Parapsychologie dar«, erklärte er. »Sozusagen der unheilige Gral für Gespensterfans. Die Gruppe, die an diesem Experiment teilnahm, erklärte, dass alles ganz wissenschaftlich und reproduzierbar ablief. Doch die Aufzeichnungen verschwanden – Berichte, Notizen, ein Sechzehn-Millimeter-Film und eine Aufnahme durch den CBC. Seitdem ist es niemandem mehr gelungen, dieses Experiment nachzustellen. Oder zumindest mit einem wissenschaftlichen Hintergrund und echter Glaubwürdigkeit. Aber wie du weißt, ist die Parapsychologie sowieso nicht mehr so angesehen wie in den siebziger Jahren.«
Ich enthielt mich einer Antwort, da meiner Meinung nach auch damals die Parapsychologie nicht sehr anerkannt gewesen war. Seitdem hatten sie noch mehr an Respekt verloren. Aber das war ein Thema, das Ben ganz anders sah.
»Diese Gruppe hat doch einen künstlichen Poltergeist erschaffen – nicht wahr?« fragte ich.
»Ja, mehr oder weniger schon.« Er hielt einen Moment inne, um Brian die Tomatensuppe, die er im ganzen Gesicht
verteilt hatte, abzuwischen. »Es handelte sich um eine Gruppe Freiwilliger, die von einem recht bekannten Professor der University of Toronto angeleitet wurden. Der Mann war an Geistern und übernatürlichen Kräften interessiert, aber er war auch ziemlich skeptisch. A. R. R. Owen gehörte zu den Menschen, die beweisen konnten, dass Uri Geller seine Löffel nicht durch Telepathie verbog. Er glaubte, dass die Kraft des menschlichen Verstandes – ob es
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