Poltergeist
war etwa so groß wie ich, schlank und ließ die Schultern ein wenig nach vorn hängen. Er hatte einen federnden Gang, der seine Lederjacke hin und her schwingen ließ. Ich wusste inzwischen aus seiner Akte, dass Quinton richtig geraten hatte. Er war tatsächlich in Indien geboren worden, und während seine Erscheinung mit den schwarzen Haaren, dem bronzefarbenen Teint und den braunen Augen klassisch indisch wirkte, präsentierte er sich sehr westlich und trendig. Sowohl seine Brille mit dem feinen Drahtgestell als auch der kurze Goatee wirkten ganz so, als ob ihm Mode wichtig war.
Er blieb vor meinem Tisch stehen. »Hi. Sind Sie … Harper?« Seine Stimme erinnerte mich an Sean Connery, ohne jedoch den typischen schottischen Akzent zu haben – tief und breit, als ob sie aus einer Falltür hinter seinen Zähnen und nicht aus seinem Hals kommen würde. Sein Lächeln war strahlend, und er zeigte weiße Zähne. Seine Eckzähne hätten jedem Vampir Ehre gemacht.
Ich nickte. »Und Sie sind Ken George.«
Er grinste und senkte schuldbewusst den Kopf. »Tut mir leid, dass ich so spät dran bin. Irgendwie kapiere ich immer noch nicht, wie diese Busse hier funktionieren.«
Er setzte sich mir gegenüber und stellte eine schwarze Kuriertasche unter den Tisch. Mehrmals warf er mir einen entschuldigenden Blick zu und lächelte dabei. Seine langen Finger spielten mit dem Serviettenring. »Also, worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
Die Kellnerin kam, und er bedachte auch sie mit seinem jungenhaften Grinsen. »Hi. Ich hätte gerne eine Tasse schwarzen Kaffee.«
Sie lächelte ihn an. »Gern.«
Als er sich von mir abwandte, betrachtete ich ihn rasch im Grau und musste feststellen, dass vor mir eine Barriere errichtet wurde. Eine seltsam gläserne Leere schien sich zwischen uns hin und her zu bewegen, sodass ich nur für kurze Momente einige diffuse Farben erkennen konnte. Es erinnerte mich an meinen eigenen Schild im Grau. Kens Blockade war allerdings nicht vollständig und schien instabil zu sein. Offenbar bemerkte er zudem nicht, was ich tat.
Wie bei Solis und seinen undurchsichtigen Mauern war auch dieser Grenzwall für die Welt und nicht für das Grau gedacht. Es strahlte etwas Gewohnheitsmäßiges aus, was meine Neugier weckte. Meine Nackenhaare stellten sich auf.
Als er seinen Blick wieder auf mich richtete und mich fragend ansah, verließ ich das Grau und lächelte ihm freundlich zu.
»Ich stelle einige Nachforschungen über Tuckmans Projekt an. Es geht um Hintergrundinformationen, und dazu wollte ich Ihnen einige Fragen stellen.«
»Dann schießen Sie los.«
»Wieso nehmen Sie überhaupt an dem Projekt teil?«, fing ich an.
Er lächelte und senkte erneut den Kopf. Nachdem er wieder eine Weile mit dem Serviettenring gespielt hatte, sah er mich wieder an. »Ich bin verliebt.« Er lachte kurz auf. »Nein, das ist nicht ganz wahr. Ich übertreibe. Als ich angefangen habe, war ich noch nicht verliebt.«
Er hielt inne und dachte nach, während er an der Serviette herumzupfte. Schließlich beugte er sich zu mir und blickte mir tief in die Augen.
»Wie hat das Ganze angefangen?«, wollte ich wissen.
»Na ja, ursprünglich aus Langeweile. Ehrlich gesagt, hielt ich mich vor einigen Jahren noch für einen richtig harten Typen.« Er sprach leise und nachdenklich, und mir fiel plötzlich auf, dass seine Stimme einen sanften Rhythmus hatte. »Ich habe alle um mich herum verrückt gemacht, bin ständig in Schwierigkeiten geraten, saß hinter Gittern, habe Leute aufgemischt und so richtig blöde Dinge angestellt. Meine Freunde hielten mich deshalb für cool – oder vielleicht hat es ihnen auch nur Spaß gemacht, zuzusehen, wie ich mich immer tiefer in den Dreck geritten habe. Echte Idioten. Irgendwann wurde mir klar, wie bescheuert das Ganze war, und seitdem versuche ich, mein Leben auf die Reihe zu bekommen. Aber manchmal ist es … Na ja, manchmal ist es langweilig. Und als mir dieser Typ erzählte,
dass es da eine Geister-Studie geben soll, an der man teilnehmen kann, dachte ich mir, das könnte Spaß machen. Tuckman hielt mich anscheinend für okay, und so hat das Ganze angefangen.«
Er lehnte sich zurück, und die Kellnerin stellte einen Becher Kaffee vor ihn auf den Tisch. Er dankte ihr mit einem ernsthaften, intensiven Blick, als ob ein Kaffee von ihr einem Geschenk gleichkäme. Sobald sie wieder verschwunden war, begann er mit der Tasse zu spielen und vermied es, mich anzusehen.
»Also Spaß«, wiederholte ich
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