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Poltergeist

Titel: Poltergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Richardson
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gestanden hatte. Den Schlüsselbund steckte er ein.
    Wir verließen gemeinsam sein Büro. Er schloss es ab und reichte dann seiner Sekretärin die Papiere und die DVD. »Kopieren Sie diese Sachen für Ms. Blaine, und legen Sie dann die Originale in mein Fach zurück, Denise.«
    Denise sah ihn verächtlich an. »Gut.« Ich schätzte sie auf etwas über dreißig, auch wenn ihre Haare, Klamotten und das Make-up dem einer Zwanzigjährigen entsprachen. Sobald sich Tuckman von ihr abgewandt hatte, schnitt sie eine angewiderte Grimasse.
    »Dann sehen wir uns also morgen bei der Sitzung. Sie können mich gerne heute Abend anrufen, falls Sie noch Fragen haben sollten«, erklärte Tuckman, nickte mir kurz zu und ließ mich dann mit der Sekretärin und ihrem beredten Schweigen allein.
    Sobald Denise die Kopien gemacht hatte, ging ich zum St.-John-Gebäude.
    Die Pacific-Northwest-University wurde 1890 von strikten Calvinisten gegründet. Vermutlich bewies ihnen das Höllenfeuer von 1889, bei dem das Zentrum der Altstadt bis auf die Grundmauern niederbrannte, wie sehr Seattle einer Rettung durch Erziehung bedurfte. Die religiösen
Gründungsväter übten allerdings schon bald keinen großen Einfluss mehr auf das Leben und die Lehre an der Uni aus. Heutzutage ist sie säkular und weder so groß noch so berühmt wie die University of Washington, die gleich nebenan liegt. Viele Leute verwechseln den kleinen Campus der PNU mit dem einer privaten High-School. Der erste Eindruck täuscht jedoch, denn es gibt noch einige große Gebäude in direkter Nachbarschaft, in denen sich die Labore, die Universitätsverwaltung und die Studentenwohnheime der PNU befinden.
    Ich ging in westlicher Richtung über den Campus und wirbelte mit jedem Schritt das bunte Laub auf. Seine Formen vermischten sich mit den verschwommenen Phantomen des Grau, die wie so oft am Rand meines Blickfelds sichtbar waren. Orte, an denen sich viele Menschen aufhielten, tendierten dazu, noch eine ganze Weile eine oder zwei Schichten von Geistern und grauer Materie beizubehalten. Der Campus der PNU bildete da keine Ausnahme.
    So lange ich meine Augen nach vorne gerichtet hielt, konnte ich die verschwommene, unheimliche Gestalt sehen, die neben mir her schwebte. Wenn ich den Kopf drehte, schien sie zu verschwinden, was allerdings nur an der täuschenden Natur des Grau lag. Für den Moment gelang es mir, es zurückzuweisen. Der Geist wandte sich ab und löste sich durch mich hindurch in Luft auf, als ich vor dem Gebäude stehen blieb. Die harsche Kälte, die das Phantom in mir hinterließ, jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken.
    St.-John war ein flaches Gebäude aus gelben Ziegeln und seltsam anmutenden Fenstern im Stile des Art deco. Vermutlich hatte dem Architekten ein warmes, golden schimmerndes Haus mit glänzenden Fenstern vorgeschwebt, die
das Innere mit Licht durchfluten sollten. Doch die Zeit und die ständige Benutzung hatten das Gebäude herunterkommen lassen. Es wirkte zudem wie blind, denn viele der Fenster waren von innen verhängt.
    Ich betrachtete es eine Weile und ließ die Kälte und das diesige Licht des Grau um mich herumwallen. Das Haus sah im Grau nicht viel anders aus als in der normalen Welt, wenn man einmal von dem üblichen Aufflackern der Geschichte und dem heißen Punkt gelben Lichts absah, der aus einem der oberen Fenster wie ein Pfeil herunterstrahlte.
    Ich wollte mich nicht ganz in das Grau begeben, um einen genauen Blick auf diesen gelben Energiepfeil zu werfen. Es war bereits gefährlich genug, mitten in der Öffentlichkeit hineinzusehen, denn dabei riskierte ich stets, plötzlich durchsichtig zu wirken. Ich hatte keine Ahnung, welchen Eindruck ich erst machen würde, wenn ich tief ins Grau vordrang. Was ich dabei sehen würde, wusste ich natürlich: eine schwarze Leere und ein loderndes Netzwerk aus Linien, das die Welt in strahlende Farben aus Energie und Magie tauchte.
    Es war das unerklärlich lebendige Ding, das ich jedes Mal sah und weder Mara noch sonst jemandem erklären konnte. Dieser funkelnde gelbe Pfeil schien mir ein Teil des Netzwerks zu sein. Und ich war mir absolut sicher, dass er mitten durch Raum zwölf verlief.
    Nachdem ich das Grau so weit zurückgeschoben hatte, dass es wieder nur am äußeren Rand meines Blickfelds flackerte, betrat ich das Gebäude. An der Rezeption war niemand zu sehen. Ganz in der Nähe konnte ich ein paar Leute miteinander sprechen und lachen hören. Aber ich wollte sie nicht stören und

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