PolyPlay
sahren, Herr Kommissar. Ob ick den erkenne? Na logisch. Imma.«
»Das ist schön. Dann bleiben Sie doch bitte noch ein bisschen hier und helfen uns bei der Anfertigung eines Phantombildes. Leutnant Pasulke wird dieses Phantombild mit Ihnen erstellen. Glauben Sie, das ließe sich machen?«
Heribert strahlte über das ganze Gesicht.
»Aba natürlich! Ick helfe doch den Orjanen, wo et nur jeht!«
Pasulke war weniger begeistert. Er würde mindestens eine halbe Stunde mit Harry vor einem Computerbildschirm sitzen, und danach würde er sich umziehen müssen: von innen verschwitzt, von außen verstunken. Kramer verzog sich mit ihm in eine Ecke des Büros, in der sie ein vertrauliches Gespräch im Flüsterton führen konnten.
»Weeß hier jeda, Jochen?«
»Ja, ja. Ich hätt das prüfen sollen. Aber der kam halt an und meint, er weiß was. Was soll ich machen? Ich dachte, es eilt.«
»Würdst du das auch für eine Spur halten, wenn jemand erzählt, der Weihnachtsmann hat Michael ermordet?«
Pasulke war ziemlich unglücklich. Außerdem war er wütend. Er hielt die Klappe.
»Na lass«, sagte Kramer. »Ist schon okay. Vielleicht stimmt die Story ja sogar. Du machst jetzt mal das Phantombild. Soll keine Strafarbeit sein. Ich muss zum Präsidium, und bei der Charité fahr ich auch vorbei. Mal in Harrys Akte gucken.«
»Na dann.«
»Bis später.«
Streng genommen hätten weder der Ausflug zum Präsidium noch der zur Charité nötig sein sollen. Im Präsidium wollte Kramer die Bibliothek besuchen, um nach Büchern über Computerkriminalität zu fahnden. Die hätten zumindest online katalogisiert sein müssen – Kramer hätte sogar erwartet, dass er einiges im Volltext von seinem Terminal in der Warschauer Straße aus einsehen konnte, aber nichts da: Von Volltext konnte überhaupt keine Rede sein, und einen Onlinekatalog konnte er im Internetz nicht finden. Kramer hätte gerne mit den Bibliothekaren ein Gespräch darüber geführt, aber als er im Präsidium am Alexanderplatz durch die Glastür trat, hatte sich das erledigt, denn der Charakter dieser Bibliothek wurde auf einen Blick klar. Die Beleuchtung in dem trüben Raum hinter der stumpf gewordenen Glastür war eindeutig unzureichend. Möbel, Regale und alles andere waren Staubfarben. Für einen ordentlichen Tresen zur Buchausgabe und -annahme hatte es kein Geld gegeben, und der einzige anwesende Mensch sah ihn an wie einen Außerirdischen. Als ob Berliner Polizisten nicht gerne läsen, dachte Kramer.
»Kramer«, sagte er, »Polizeiinspektion Friedrichshain. Ich suche nach Büchern über Computerkriminalität.«
Die Frau unbestimmten Alters betrachtete ihn mit einem Trinkerinnenblick ohne jede Hoffnung und ohne jedes Verständnis.
»Dienstausweis?«, knurrte sie.
Kramer fragte sich, ob er im falschen Film gelandet war.
»Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich möchte mich nur nach Büchern über Computerkriminalität erkundigen, Genossin Bibliothekarin.«
Er fand, er war höflich gewesen. Anscheinend nützte das nichts.
»Ohne Dienstausweis jeht hier jar nüscht.«
Kramer überlegte. Umdrehen? Schreien? Ausspucken? Nein, entschied er. Die Ouvertüre dieser kleinen Farce machte ihn auf das Ende neugierig. Er reichte der Bibliothekarin seinen Dienstausweis, die sichtlich verbittert darüber war, dass er sich nicht hatte abschrecken lassen. Bis sie die entsprechenden Formulare in ihrem Schreibtisch gefunden und seine Daten übernommen hatte, waren zehn Minuten vergangen. Hinter ihr, an der Wand, hing der aktuelle Kalender der SED (»Mit Elan ins neue Jahrtausend!«). Der Staatsratsvorsitzende lächelte auf die Szene herab, als heiße er alles gut. Die Bibliothekarin legte Kramers Ausweis so ungeschickt auf die Tischplatte, dass er hinunterfiel. »Computer«, sagte sie zu niemand Bestimmtem, während sie sich zu dem Karteikasten umdrehte, der ihr offenbar als Katalog diente. Sie blätterte diesen Katalog durch. Dabei seufzte sie und summte auch ab und zu eine Melodie vor sich hin.
Abgesehen davon war es hier totenstill. Kramer übte sich in Meditation. Schließlich hatte ihm die Bibliothekarin drei Signaturen aufgeschrieben und schickte ihn mit einer wegwerfenden Geste zu den Regalen. Kramer musste in dem unübersichtlich und unlogisch geordneten Regalsystem eine ganze Weile nach den Büchern suchen und fand seine Mühen schlecht belohnt: Nur eines der Bücher behandelte sein Thema. Es war grün, trug den Vermerk »Nur für den Dienstgebrauch«, stammte
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