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PolyPlay

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Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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DDR gedruckt, und dieses Zeug würde bald zu Staub zerfallen, wie die säuregetränkten Papiere der zwanziger Jahre. Die darin beschriebene Technologie war einfach lachhaft. Damals hatte sich die BRD nicht mehr mit Lochkarten abgegeben, so viel wusste er genau. 1984 hatte es dort wahrscheinlich schon Computerkids gegeben, die von ihrem PC aus die Welt unsicher machten, aber in der DDR waren Finanzdelikte noch mit gefälschten Lochstreifen begangen worden. Warum diese Scham?, dachte Kramer verblüfft. Es war ja wohl keine Schande, in der Kriminalität ein paar Jahrzehnte nicht auf Weltniveau gewesen zu sein. Michael Abusch war vielleicht auf Weltniveau gewesen, aber dafür war er jetzt auch tot.
    Und trotzdem. Das tapfere kleine Buch des Prof. Moldenhauer beschämte ihn. Er traf auf ein paar bekannte Namen, die ihm aus seiner Zeit als VP-Anwärter und als Offiziersschüler an der Hochschule der Deutschen Volkspolizei Karl Liebknecht noch bekannt vorkamen.
    »Die Verfasser danken dem Leiter der Hauptabteilung Kriminalpolizei, Genossen Generalmajor Nedwig, dem Stellvertreter des Leiters der Hauptabteilung Kriminalpolizei – Untersuchung, Genossen Oberst der K. Dr. Speckhardt, dem Leiter des Kriminalistischen Instituts der DVP, Genossen Generalmajor Dr. Strauss sowie seinem Stellvertreter, Genossen Oberst der K. Dr. Petraneck, die durch leitungsmäßige Entscheidungen und persönliche Einflussnahme die Forschungen in jeder nur erdenklichen Weise unterstützten.«
    Igitt! Aber so hatte man in der alten DDR geschrieben. Er selbst hätte es damals nicht anders gemacht. Nicht, dass das heutzutage überhaupt nicht mehr vorkam: Es war nur nicht mehr üblich. Dieser Tonfall war nicht mehr in Mode, und Kramer konnte es nur recht sein. Das Buch war furchtbar.
    »Ein weiterer Hauptkomplex von Finanzdelikten unter Missbrauch der EDV bestand darin, dass die Täterin ohne persönliche Bereicherung verschiedene Mitarbeiter ihres Zuständigkeitsbereichs finanziell bevorteilte. In ihrer Vernehmung erklärte sie u. a.: ›Mir war es egal, schließlich war es ja nicht mein Geld, was ich ihnen zu Unrecht zukommen ließ.‹ Die darin zum Ausdruck kommende Nichtachtung des sozialistischen Eigentums paarte sich mit Bestrebungen der Täterin, ihr durch einen Sprachfehler sowie ständigen Tabletten- und Alkoholmissbrauch negativ beeinträchtigtes Persönlichkeitsbild, durch übermäßiges Entgegenkommen gegenüber Mitarbeitern des eigenen Zuständigkeitsbereichs auszugleichen und sich auf diese Weise Anerkennung und Ansehen zu verschaffen.«
    Ja, da hatten es die Sprachwürger des Autorenkollektivs (ein Professor, zwei Doktoren und vier Diplomierte) wirklich auf den Punkt und auf den Hund gebracht. Zum Weinen, dachte Kramer. Zum Schießen. Er schloss das Buch mit einem Knall und konnte sich gerade noch davon abhalten, das sozialistische Eigentum in die Ecke zu pfeffern. Nicht auszudenken, was mit ihm passieren würde, wenn er der Bibliothekarin das Buch beschädigt zurückbrächte. Er warf es auf die Couch.
    Was jetzt? Fernsehen. Aktuelle Kamera. Massaker in der Republik Kalifornien. Ein Hotelier hatte die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz vor San Francisco gekauft und aus dem Zellentrakt ein Hotel gemacht, bewaffnete Wärter, Gefängnisessen und Videoüberwachung inklusive. Anscheinend war das Geschäft aber nicht so gut gelaufen wie erhofft: Der Entrepreneur war durchgedreht, hatte die Wärter nach dem abendlichen Einschluss nach Hause geschickt und alle seine 27 Gäste erschossen – in ihren Zellen, durch die Gitterstäbe hindurch. Videoaufzeichnung inklusive.
    Ja, die Amerikaner, dachte Kramer. Immer für einen handfesten Spaß zu haben. Aber wir hier sind auch nicht ohne. Weltniveau, sozusagen.
    Es war keine Frage, warum die Aktuelle Kamera mit dieser Nachricht aufmachte. Die amerikanische Selbstzerfleischung politischer und privater Art war auch zehn Jahre nach der Wende immer noch eine Nachricht wert.
    Schauplatzwechsel. Außenminister Fischer in Peking. Große Ehrenparade. Staatsbankett. Rote Fahnen. Fischer sprach von der unverbrüchlichen Freundschaft der beiden sozialistischen Länder, der stetigen Verbesserung ihrer wechselseitigen Beziehungen, ihrer Funktion als Garanten der Stabilität in einer unsicher gewordenen Welt und all dem anderen.
    Fischer der Ältere, Oskar nämlich, Außenminister bis 1990, hatte Kramer nie sonderlich beeindruckt. Er war ein typischer DDR-Funktionär der alten Schule gewesen, linientreu, spießig,

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