Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
Gerichtsmedizin betrachten, was Sie hier sehen. Die Leichen sind übrigens alles Freiwillige, wir haben vor dem Ableben eine Einverständniserklärung eingeholt.
    Ich habe eben von der ansteigenden Zahl von Gewaltverbrechen in der DDR gesprochen. Hinzu kommt die steigende Anzahl eigenartiger Gewaltverbrechen. Fälle wie der Abusch-Fall. Fälle ohne Vorurteil. Das häuft sich in letzter Zeit. Das hier«, er machte eine vage Bewegung in Richtung des adrett gekleideten Toten auf dem Sandhaufen, »hat mit dem Abusch-Fall nicht direkt etwas zu tun. Ich zeige es Ihnen, um Ihnen etwas über mich und meine Kollegen zu erzählen. Unser Beruf bringt es mit sich, dass wir gegenüber dem Tod abstumpfen. Das ist bei Medizinern immer so, aber Gerichtsmediziner stumpfen auch dem gewaltsamen Tod gegenüber ab, das ist noch einmal etwas anderes. Man hält uns deswegen vielleicht für gefühllos, aber das ist ein Irrtum. Wir machen uns durchaus unsere Gedanken. Diese Anlage hier kostet auch uns Nerven. Ich persönlich habe zum Beispiel Alpträume davon, und wenn wir sie nicht wirklich brauchen würden, wäre ich der Erste, der ihre Abschaffung fordert. Einen wirklich sachlichen Grund dafür, dass ich sie Ihnen zeige, kann ich gar nicht nennen. Aber ich wäre sehr froh, persönlich froh, wenn Sie den Abusch-Fall lösen könnten.«
    Kramer sah ihm in die Augen. Sie waren blau.
    »Ich weiß, das klingt alles nicht sehr professionell. In unseren Kreisen macht man seine Arbeit und tut sein Bestes, und was aufgeklärt werden kann, wird aufgeklärt; das andere muss man hinnehmen. Aber es macht mir Sorgen, dass unsere Aufklärungsquote seit einiger Zeit rückläufig ist. Es lässt mich manchmal an meinem Beruf zweifeln, um ganz ehrlich zu sein. Paradoxerweise kann ich Ihnen nicht in Aussicht stellen, dass wir Ihnen dabei groß helfen können, aber ich wäre sehr froh, wenn Sie den Mörder von Michael Abusch fassen würden.«
    Kramer traute seinen Ohren kaum. War das, was er da gerade hörte, die Bankrotterklärung eines der profiliertesten Gerichtsmediziner der DDR? Wurde er in einem erstaunlich kühl gehaltenen Plädoyer angefleht, endlich etwas zu tun? Ein Gefühl totaler Absurdität überkam Kramer. Ihm fiel nichts ein, was er dem Arzt entgegnen konnte. Gar nichts.
    »Ich glaube, wir sollten jetzt gehen«, sagte Schwernik.
    Nachdem er die Wellblechtür mit aller Sorgfalt wieder verschlossen hatte, nahm er Kramers Erfrischungstuch in Empfang, das mittlerweile fast trocken war.
    »Bitte behandeln Sie vertraulich, was ich Ihnen eben gezeigt und gesagt habe. Sprechen Sie nur mir Leuten darüber, denen Sie selbst vertrauen. Wir haben diese Anlage hier bisher geheim halten können, und ich wäre froh, wenn das so bleibt.«
    Als Kramer aus dem Institut heraustrat, blendete ihn das Sonnenlicht.
    »Wir haben nix.«
    »Nee. Genau. Wir haben nix. Wenn man von dem Phantombild absieht.«
    Pasulke hatte Schwierigkeiten mit seinem Kaffee, wie immer. Im Automaten war ihm ein wenig danebengelaufen. Das passierte auch anderen, aber er war ein wirklicher Meister darin. Seine tropfenden Plastikbecher waren in der ganzen Abteilung gefürchtet, und man hatte sich auch schon beim 1. Juli im Präsidium darüber lustig gemacht. Pasulke hatte nicht wirklich darüber lachen können. Kramer reichte ihm kommentarlos ein Papiertaschentuch.
    »Zusammenfassend möchte ich Folgendes sagen«, sagte er. »Erstens. Wir haben einen Toten, und er war's nicht selber. Wir haben nichts von der Spurensicherung, nichts von der Gerichtsmedizin, keine Zeugen, von Harry abgesehen, und auch sonst nichts. Der Tote ist noch fast warm, und schon kommt mir die Stasi in die Quere. Bei vagen Nachforschungen in Richtung ›Computerkriminalität‹ tauchen sofort andere, politische Hindernisse auf.« Er sah kurz zu seinem Terminal, um sicher zu gehen, dass es abgeschaltet war. »Woran erinnert dich all das?«
    Pasulke nahm einen Schluck aus seinem mittlerweile gebrauchsfertigen Kaffeebecher. »Ja, woran erinnert uns das?«, sagte er mit gespielter Nachdenklichkeit.
    »Schillerpark, mon amour.«
    Ein paar Jahre vorher hatte es eine Serie von Prostituiertenmorden gegeben, und die Leichen waren immer im Schillerpark im Wedding aufgetaucht, fünf insgesamt. Man hatte Kramer und seine Kommission aus Friedrichshain zugezogen, weil er im Jahr zuvor einen scheinbar ähnlichen Fall sehr fix gelöst hatte. Kramer war mit erheblichen Vorschusslorbeeren angetreten – und mit fliegenden Fahnen

Weitere Kostenlose Bücher