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PolyPlay

PolyPlay

Titel: PolyPlay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Diskussion zu stellen. Aber heute Abend hatte er sich das nur angesehen, um Zeit totzuschlagen. Er fühlte sich so eigen, so leer. Dann geschah etwas Seltsames. Scheinbar aus dem Nichts, ohne Vorwarnung, aber dafür umso stärker und überzeugender, fühlte er in sich den Wunsch nach einem Kind. Vor dem abgeschalteten alten Fernseher sitzend, der noch ab und zu leise knackte, wurde ihm mit absoluter Sicherheit klar, dass er ein Kind haben wollte. Zuerst verblüffte ihn das, dann machte es ihn traurig. Denn er und Anette hatten zu Beginn ihrer Ehe einen »Vertrag« geschlossen, der dieses Thema regelte. Der Vertrag war Anettes Bedingung für die Ehe gewesen. Sie hatte in einer sehr ernsten Stunde sehr endgültig erklärt: »Es ist dir vielleicht noch nicht aufgefallen, aber ich bin für Kinder nicht geeignet. Fast alles, was Kinder angeht, langweilt mich zu Tode. Mein Leben ist mein Beruf. Kinder interessieren mich nicht. Ich kann sie nicht mit diesem verklärten Blick sehen, den alle für normal halten. Kinder sind für mich einfach unfertige Menschen, denen das Wichtigste noch fehlt: Vernunft. Sie haben keine Disziplin, sie sind laut, sie brauchen die ganze Zeit Schutz und Kontrolle. Kinder sind eine Last. Ich will ein Leben. Keine Kinder.«
    Kramer hatte das akzeptiert, weil er zu diesem Zeitpunkt genauso dachte. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Anette wegen ihres Standpunkts für kalt oder unmenschlich zu halten – so war sie nun einmal, und er liebte sie darum. Aber seine Meinung hatte sich offenbar geändert, und ihm wurde blitzartig klar, wie sehr. Nie war er seiner Frau ferner gewesen. Das war ihm unerträglich. Gegen dieses Gefühl musste er etwas unternehmen, auch wenn die Niederlage vorprogrammiert war. Er wollte Anette wenigstens ein Mal unmissverständlich fragen, ob sie über Kinder immer noch gleich dachte, und nicht nur, wie manchmal schon, in halben Andeutungen, die sie lächelnd ignorieren konnte. Er wollte, dass sie es aussprach.
    Wieso gerade an diesem Abend? Er hatte keine Ahnung. Dass sein Entschluss in einem trüben Zusammenhang mit dem zerschlagenen Kopf eines Sechzehnjährigen stand, bemerkte er nur am Rande. Putzi-Zahnhygiene-Sets im Bad. Verkritzelte Tapeten. Jugendweihe mit Tränen in den Augen. Wollte er das? Heute Abend wollte er es. Er erhob sich.
    »Ja!«, rief seine Frau, als er an ihrer Tür klopfte. Sie war in ihre Arbeit vertieft und sah zunächst nicht auf. Wahrscheinlich erwartete sie eine Tasse Tee oder eine andere Nettigkeit. Er war furchtbar aufgeregt.
    »Ich will ein Kind von dir«, sagte er ohne Einleitung.
    Sie legte den Bleistift aus der Hand und sah ihn an. Keine Überraschung war in ihrem Gesicht, kein Schock und keine Empörung, nur ein mildes Lächeln, das ihn kränkte.
    »Rüdiger. Damit wollten wir doch nie anfangen.«
    »Nie war damals«, sagte er enttäuscht. »Ich will ein Kind von dir.«
    »Aber ich will keins.«
    Er richtete sich auf und ging hinaus. Klappe zu, Affe tot. Er hatte es ja kommen sehen. Er konnte nicht wirklich behaupten, er sei nicht gewarnt gewesen, er kannte seine Frau, er hatte sich die erwartete Abfuhr geholt. Was ist eigentlich los mit mir?, fragte er sich in der Küche, als er sich den Tee machte, den er seiner Frau nicht gebracht hatte. Vielleicht sollte ich auch zum POD, genau wie Katharina Abusch.
     
    In der Nacht schoss er mit fliegendem Herzen aus einem Alptraum hoch. Als er die wirren Bilder in seinem Kopf zu ordnen versuchte, zerfielen sie ihm unter den Händen wie grauschwarzer Spinnweb. Er konnte gerade noch erhaschen, dass sowohl die Majorin Schindler als auch der Außenminister Fischer in seinem Traum eine Rolle gespielt hatten, und diese Kombination trieb ihm erneut den Schweiß auf die Stirn. Das Dunkel um ihn herum war nicht vollkommen. Der Körper seiner Frau zeichnete sich undeutlich unter der Bettdecke ab, in die sie sich eingewickelt hatte: dunklere Schatten auf dunklen Schatten. Jetzt, da sich sein Atem wieder beruhigte, hörte er ihren auch. Sie schlief friedlich, unbeeindruckt von seinem Aufruhr. Das ist gut, dachte er an der Grenze zum wirklichen Aufwachen, das ist gut. Solange Anette da ist, ist alles gut. Er legte sich hin und schlief sofort wieder ein.
     

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    »Ein schlaues Bürschchen, wie gesagt.«
    Uwe Merz war in seinem Element. An einem Computer, dem er noch nicht alle Geheimnisse entlockt hatte. Auf der Tastatur hackte er mit der Geschwindigkeit einer Weltklasse-Sekretärin herum, die

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