Pommes rot-weiß
bedankte mich brav bei Martens und versprach, die Sache weiter zu verfolgen. Dann öffnete ich seinen Brief und zog einen Scheck über dreitausend Mark heraus.
Ich pfiff durch die Zähne und beschloss, mich in Zukunft auf eingebildete Mordfälle zu spezialisieren.
Glücklicherweise war meine Wohnung nicht angetastet, alles lag an seinem Platz. Trotzdem kam sie mir an diesem Abend lange nicht so gemütlich vor wie sonst. Ich beschloss, noch einen Spaziergang durchs Viertel zu machen.
Aber das Wetter ließ mich nicht. Es war kalt und abweisend und die wenigen Leute, denen ich begegnete, musterten mich unfreundlich, als sei ich dafür verantwortlich. Ich achtete darauf, um düstere Hauseingänge und Toreinfahrten einen Bogen zu machen. Immer wieder blieb ich stehen, weil ich glaubte, hinter mir Schritte zu hören. Aber selbst wenn da welche waren, warum sollten sie weitertappen, wenn ich ständig anhielt? Ich gab auf und verzog mich ins La Mancha, meine Stammkneipe, und bestellte etwas, das weder Fisch noch Fleisch enthielt. Heute Morgen noch hatte ich Martens junior belächelt, weil der sich wichtig machte, indem er blutige Mordgeschichten erfand. Jetzt war ich selbst so weit, dass ich mich nicht mehr traute, den Staubsauger aus dem Schrank zu nehmen, weil ich fürchtete, dass hinter der Tür ein sizilianischer Killer lauerte.
Statt mich über Tilo lustig zu machen, sollte ich ihn anrufen und vorschlagen, mit ihm zusammen eine Selbsthilfegruppe zu gründen.
Mattau hatte mir nahe gelegt, Tilo an einen Psychodoktor zu überweisen. Abgesehen davon, dass sein Vater davon nichts wissen wollte und lieber mich engagiert hatte, obwohl die Krankenkasse mein Honorar nicht übernahm, war die Frage, ob ihm das wirklich etwas bringen würde.
Jeder wünschte sich Zuneigung, das konnte man sich entweder für teueres Geld von einem Psychologen sagen lassen oder einer x-beliebigen Illustrierten in seinem Wartezimmer entnehmen. Zuneigung, Anerkennung, Urvertrauen – diese Dinge hatten in der Psychologie ungefähr den Stellenwert, den in der wirklichen Welt ein schickes Auto oder eine tolle Figur belegten. Da alle davon träumten, aber kaum jemand sie bekam, gab es auf der Welt die verschiedensten Strategien, sie sich zu verschaffen. Man konnte sich brav an den Start begeben und mit hechelnder Zunge durch das Leben hasten, immer weiter wie eine Bombe, die ihrer eigenen Detonation hinterhertickte. So wurde man ein Star wie Tilos Schwester. Ihr Vater hatte nur Lob für sie.
Oder man erfand abstruse Geschichten, machte sich zum Opfer von Intrigen und zum Ziel schwarz gekleideter Herren, die vor dem Grundstück lauerten, so wie Tilo. Dann schickte sein Vater nach einem Privatschnüffler, um die Sache vom Hals zu bekommen.
Ich fragte mich, zu welchen Mitteln ich greifen würde, wenn ich um jeden Preis die Aufmerksamkeit eines Menschen gewinnen wollte. Vielleicht würde ich mir auch eine haarsträubende Geschichte ausdenken, in denen es von blutigen Leichnamen wimmelte. Die Toten, von denen ich berichten würde, wären durch die Bank völlig unbekannte Leute und es würde keine Möglichkeit geben, sie nachträglich zu identifizieren. Das würde nicht schwer sein, entweder wären ihre Gesichter bis zur Unkenntlichkeit entstellt oder ich würde es einfach nicht wagen, die Decke zurückzuschlagen, unter der sich der grausige Fund verbarg. Außerdem würde ich mich nie genau an den Zeitpunkt des Fundes erinnern.
Niemals aber würde ich den Fehler machen, den Ermordeten wieder zu erkennen. Schon gar nicht als den Freund meiner Schwester, mit der ich eine Wohnung teilte, auch wenn die Wohnung so groß war, dass ich sie mit mehr Schwestern teilen könnte, als man in einem mittelgroßen Kloster antraf. Denn ich wüsste ja, dass besagter Freund quicklebendig war und dass ich mich mit dieser Geschichte bei keinem wichtig machen konnte, sondern höchstens lächerlich.
Genau das hatte Tilo Martens aber getan.
»Hat sich Henk mal hier sehen lassen?«, fragte ich Jiorgos, den Wirt, während ich zahlte.
Er zuckte mit den Schultern. »Er hat vor ein paar Tagen angerufen und wollte wissen, ob irgendwer nach ihm gefragt hat. Tja, das hast du ja jetzt gemacht.«
»Weißt du zufällig, von wo aus er angerufen hat?«
»Woher soll ich das wissen, Kittel? Er hat’s mir ja nicht gesagt.«
»Stimmt so«, sagte ich und schob ihm einen Zwanziger hin. »Falls er auftaucht, sag ihm doch, er soll sich bei mir melden, ja?«
Jiorgos grinste breit. »Das
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