Pompeji
die drehbare Holzbrücke, die die beiden Becken des natürlichen Hafens voneinander trennte.
Man hatte ihn vor dem Befehlshaber gewarnt, bevor er Rom verließ. »Den Oberbefehl hat Gaius Plinius«, hatte der Curator Aquarum gesagt. »Früher oder später wirst du ihm begegnen. Er bildet sich ein, alles über alles zu wissen. Vielleicht ist das ja auch so. Aber du musst ihn mit Samthandschuhen anfassen. Wirf einmal einen Blick in sein neuestes Werk. Die Historia naturalis. Jede bekannte Tatsache über Mutter Erde in siebenunddreißig Büchern.«
In der öffentlichen Bibliothek am Porticus der Octavia hatte Attilius eine Kopie gefunden, aber keine Zeit gehabt, mehr als das Inhaltsverzeichnis zu lesen.
»Die Welt. Ihre Gestalt, ihre Bewegungen. Von den Mond- und Sonnenfinsternissen. Von Donner und Blitz. Musikalische Raumverhältnisse zwischen den Gestirnen. Wunderbare Erscheinungen am Himmel. Feurige Balken und vom geöffneten Himmel. Von den Farben des Himmels und dem flammenden Himmel. Von himmlischen Kränzen. Von plötzlich entstehenden Ringen. Von der Luft und woher der Steinregen kommt …«
In der Bibliothek hatte es noch andere Bücher von Plinius gegeben. Sechs Bücher über Rhetorik. Acht über Grammatik. Zwanzig Bücher über den Krieg in Germanien, wo er eine Einheit von Reitern befehligt hatte. Dreißig Bücher über die jüngste Geschichte des Imperiums, dem er als Statthalter in Hispania und Belgica gedient hatte. Attilius hatte den Curator gefragt, wie Plinius so viel schreiben und gleichzeitig so hohe Ämter bekleiden konnte. Der Curator hatte gesagt: »Weil er keine Frau hat«, und über seinen eigenen Witz gelacht. »Und schlafen tut er auch nicht. Pass bloß auf, dass er dich nicht dabei ertappt.«
Die untergehende Sonne hatte den Himmel in ein rotes Licht getaucht, und die große Laguna zu seiner Rechten, wo die Kampfschiffe gebaut und repariert wurden, lag bereits verlassen da; aus dem Schilf tönten die klagenden Rufe von Seevögeln. Zu seiner Linken, im Außenhafen, näherte sich eine Passagierfähre mit gerefften Segeln und einem Dutzend Rudern an jeder Seite, die langsam und im Einklang ins Wasser tauchten, während sich das Schiff seinen Weg zwischen den Triremen der kaiserlichen Flotte suchte, die im Hafen vor Anker lagen. Die Fähre war zu spät dran, um aus Ostia zu kommen, was bedeutete, dass sie wahrscheinlich nur im Golf verkehrte. Das Gewicht der Passagiere, die auf dem offenen Deck zusammengedrängt waren, drückte sie tief ins Wasser.
»Dass die Erde der Mittelpunkt der Welt ist. Von Erdbeben. Merkmale eines bevorstehenden Erdbebens. Vereinigte Wunder des Feuers und des Wassers. Von der Maltha. Von der Naphta. Welche Orte stets brennen. Harmonische Berechnung der ganzen Welt …«
Er bewegte sich offenbar schneller, als die Wasserrohre sich leerten, denn als er durch den Triumphbogen ging, der den Eingang zum Hafen markierte, konnte er sehen, dass der große Brunnen an der Straßenkreuzung noch funktionierte. Um ihn herum hatte sich die Menschenmenge versammelt, die sich jeden Tag zur Dämmerung hier einfand – Seesoldaten, die ihre weinschweren Köpfe begossen, zerlumpte Kinder, die kreischten und mit Wasser spritzten, Frauen und Sklaven mit Tonkrügen auf den Hüften und auf den Schultern, die darauf warteten, ihr Wasser für die Nacht schöpfen zu können. Eine Marmorstatue des Göttlichen Augustus erhob sich neben der belebten Kreuzung, um die Bürger daran zu erinnern, wem sie diesen Segen zu verdanken hatten. Kalt schaute sie über die Menschen hinweg, in ewiger Jugend erstarrt.
Die überladene Fähre war am Kai angelangt. Vorn und achtern wurden die Landungsstege ausgeklappt, und die Planken bogen sich unter dem Gewicht der an Land eilenden Passagiere. Gepäck wurde von Hand zu Hand geworfen. Ein Mietsanftenbesitzer, vom Tempo des Exodus überrascht, rannte umher und versetzte seinen Trägern Tritte, um sie zur Arbeit anzutreiben. Attilius erkundigte sich über die Straße hinweg, woher die Fähre kam, und der Sänftenbesitzer rief über die Schulter zurück: »Neapolis, mein Freund – und davor Pompeji.«
Pompeji.
Attilius, der im Begriff gewesen war, seinen Weg fortzusetzen, blieb plötzlich stehen. Merkwürdig, dass sie noch keine Nachricht aus Pompeji erhalten hatten, der ersten Stadt am Hauptstrang. Er zögerte, machte dann kehrt und stellte sich der ankommenden Menge in den Weg. »Kommt einer von euch aus Pompeji?« Er schwenkte die zusammengerollten Pläne
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