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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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er den Befehlshaber nicht, aber als ein Sklave ihn anmeldete – »Marcus Attilius Primus, Aquarius der Aqua Augusta« –, drehte sich ein rundlicher Mann von Mitte fünfzig am hinteren Ende der Terrasse um und kam auf ihn zugewatschelt, gefolgt von den Leuten, die vermutlich Gäste bei seiner soeben beendeten Mahlzeit gewesen waren: vier in Togen schwitzende Männer, von denen zumindest einer, dem purpurnen Streifen an seinem Gewand nach zu urteilen, ein Senator war. Hinter ihnen – unterwürfig, böswillig, unvermeidbar – tauchte Corax auf.
    Aus irgendeinem Grund hatte Attilius angenommen, der berühmte Gelehrte sei mager, doch Plinius war dick und hatte einen Bauch, der so scharf umrissen vorstand wie der Rammsporn eines seiner Schiffe. Er tupfte sich die Stirn mit seiner Serviette ab.
    »Soll ich dich jetzt festnehmen lassen, Aquarius? Ich könnte es, so viel steht schon jetzt fest.« Plinius hatte die Stimme eines dicken Mannes: ein hohes Schnaufen, das sogar noch heiserer wurde, als er die Anschuldigungen an seinen plumpen Fingern abzählte. »Zuerst einmal Inkompetenz – wer kann daran zweifeln? Nachlässigkeit – wo warst du, als der Schwefel das Wasser verseucht hat? Ungehorsam – wer hat dir gestattet, unser Wasser abzuschneiden? Verrat – ja, ich könnte auch Anklage wegen Verrats erheben. Und wie wär's mit Anstiftung zur Rebellion in der kaiserlichen Werft? Ich musste eine ganze Centurie Seesoldaten ausschicken – die eine Hälfte soll in der Stadt ein paar Köpfe einschlagen und die öffentliche Ordnung wiederherstellen, die anderen fünfzig sind zum Reservoir unterwegs, um das bisschen Wasser zu bewachen, das noch vorhanden ist. Verrat …«
    Er brach ab, weil ihm die Luft ausgegangen war. Mit seinen aufgeblähten Wangen, den geschürzten Lippen und den spärlichen grauen, verschwitzt am Kopf klebenden Locken sah er aus wie ein ältlicher, wütender Cherub, heruntergefallen von einer abblätternden Deckenmalerei. Der jüngste seiner Gäste – ein pickliger, knapp zwanzig Jahre alter Jüngling, trat vor, um ihn zu stützen, aber Plinius schüttelte ihn mit einem Achselzucken ab. Im Hintergrund der Gruppe grinste Corax und ließ einen Mund voll schwarzer Zähne sehen. Er hatte sogar noch wirksamer sein Gift verspritzt, als Attilius befürchtet hatte. Wahrscheinlich der geborene Politiker. Vermutlich konnte er sogar dem Senator noch den einen oder anderen Trick beibringen.
    Attilius fiel auf, dass über dem Vesuv ein Stern zum Vorschein gekommen war. Bisher hatte er den Berg noch nie richtig angesehen, und schon gar nicht aus diesem Blickwinkel. Der Himmel war dunkel, aber der Berg war noch dunkler, fast schwarz, und ragte mit einem spitz zulaufenden Gipfel über dem Golf auf. Und dort liegt die Quelle des Problems, dachte er. Irgendwo dort drüben, am Berg. Nicht auf der Seite, die der See zugewandt war, sondern landeinwärts, an der Nordostflanke.
    »Wer bist du überhaupt?«, krächzte Plinius schließlich. »Ich kenne dich nicht. Du bist viel zu jung. Was ist mit dem richtigen Aquarius passiert? Wie hieß er doch noch?«
    »Exomnius«, sagte Corax.
    »Exomnius, richtig. Wo ist er? Und was hat sich Acilius Aviola dabei gedacht, uns zur Erledigung von Männerarbeit einen Jüngling zu schicken? Also? Sprich! Was hast du zu deinen Gunsten vorzubringen?«
    Hinter dem Befehlshaber bildete der Vesuv eine perfekte natürliche Pyramide, um deren Fuß sich die kleine Lichterkette der Strandvillen herumzog. An zwei Stellen beulte sich die Linie leicht aus; das waren vermutlich Städte. Sie waren ihm von der Karte her geläufig. Die näher gelegene musste Herculaneum sein, die weiter entfernte Pompeji.
    Attilius richtete sich auf. »Ich brauche«, sagte er, »ein Schiff.«
    Er breitete seine Karte auf dem Tisch in Plinius' Bibliothek aus und beschwerte sie an den Kanten mit zwei Stücken Magnetit, die er aus einem Schaukasten holte. Ein älterer Sklave hantierte hinter dem Rücken des Befehlshabers und zündete einen kunstvoll geschmiedeten Bronze-Kandelaber an. An den Wänden standen Schränke aus Zedernholz, voll gepackt mit Papyrusrollen, die zu staubigen Waben gestapelt waren. Obwohl die Tür zur Terrasse weit offen stand, kam von der See kein Lüftchen, das die Hitze vertrieb. Der ölige, schwarze Rauch der Kerzen stieg senkrecht auf. Attilius spürte, wie Schweiß an seinem Rückgrat hinunterrann. Es fühlte sich an wie ein kriechendes Insekt.
    »Sag den Damen, dass wir bald zu ihnen kommen«,

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