Pompeji
seinen Stuhl aufgestellt hatte, um der Hinrichtung zuzusehen, die Rampen am Ufer, die Krangerüste zwischen den Fischbecken, das ein ganzes Stück von ihnen entfernte große Muränenbecken – alles verlassen. Das karmin- und goldfarbene Schiff lag nicht mehr am Anleger der Villa.
Es war genau so, wie Atia gesagt hatte: Sie waren weg.
Als er das Reservoir bei Tagesanbruch verlassen hatte, war die alte Frau noch nicht wieder bei Bewusstsein gewesen. Er hatte sie in einer der Kammern neben der Küche auf eine Strohmatratze gelegt und seinem Haussklaven Philo befohlen, einen Arzt zu holen und dafür zu sorgen, dass sie gepflegt wurde. Philo hatte gemurrt, aber Attilius hatte ihn barsch angewiesen, zu tun, was er ihm befohlen hatte. Wenn sie starb – nun, das mochte eine Erlösung für sie sein. Wenn sie sich jedoch erholte, dann konnte sie seinetwegen bleiben. Er würde ohnehin einen weiteren Sklaven kaufen müssen, der sich um sein Essen und seine Kleidung kümmerte. Er stellte keine hohen Ansprüche; die Arbeit würde leicht sein. Auf solche Dinge hatte er nie viele Gedanken verschwendet. Als er verheiratet gewesen war, kümmerte sich Sabina um den Haushalt; nach ihrem Tod hatte seine Mutter diese Aufgabe übernommen.
Die große Villa wirkte dunkel und verschlossen, wie für ein Begräbnis; die Möwenschreie glichen den Klagen der Trauergäste.
Musa sagte: »Ich habe gehört, er hätte zehn Millionen dafür bezahlt.«
Attilius reagierte mit einem Grunzen, ohne den Blick von dem Haus abzuwenden. »Jetzt ist er jedenfalls nicht dort.«
»Ampliatus? Natürlich nicht. Er ist nie lange dort. Er hat überall Häuser. Meistens ist er in Pompeji.«
»In Pompeji?«
Jetzt schaute Attilius sich um. Musa saß mit übereinander geschlagenen Beinen da, den Rücken an das Werkzeug gelehnt, und aß eine Feige. Er schien ständig zu essen. Seine Frau schickte ihn jeden Tag mit so viel Essen zur Arbeit, dass es für ein halbes Dutzend Männer gereicht hätte. Er stopfte sich den Rest der Feige in den Mund und leckte sich die Finger. »Dort stammt er her. In Pompeji hat er sein Geld gemacht.«
»Obwohl er als Sklave geboren wurde.«
»So läuft das heutzutage«, sagte Musa bitter. »Ein Sklave speist von silbernen Tellern, während ein ehrlicher, frei geborener Bürger für einen Hungerlohn schuftet.«
Die anderen Männer saßen in der Nähe des Hecks, um Corax geschart, der den Kopf vorgestreckt hatte und leise erzählte; es schien eine Geschichte zu sein, die eine Menge nachdrücklicher Handbewegungen und häufiges Kopfschütteln erforderte. Attilius vermutete, dass er das Treffen mit Plinius am Vorabend beschrieb.
Musa entkorkte seinen Wasserschlauch und trank einen Schluck, dann wischte er die Öffnung ab und bot ihn Attilius an, der ihn nahm und sich neben ihm niederließ. Das Wasser hatte einen vage bitteren Geschmack. Schwefel. Er schluckte ein wenig davon, mehr aus Höflichkeit denn aus Durst, wischte die Öffnung des Schlauchs gleichfalls ab und gab ihn Musa zurück.
»Du hast Recht, Musa«, sagte er vorsichtig. »Wie alt ist Ampliatus? Noch nicht einmal fünfzig. Und dennoch hat er es vom Sklaven zum Besitzer der Villa Hortensia gebracht, und das in einer Zeit, die du oder ich brauchen würden, um genug Geld für eine verwanzte Wohnung zusammenzukratzen. Wie kann ein Mann das auf ehrlichem Wege bloß schaffen?«
»Ein ehrlicher Millionär? So selten wie Hühner mit Zähnen! Nach allem, was ich gehört habe«, sagte Musa, schaute über seine Schulter und senkte die Stimme, »hat er direkt nach dem Erdbeben angefangen, Geld zu scheffeln. Der alte Popidius hatte ihn in seinem Testament die Freiheit vermacht. Ampliatus war ein gut aussehender Bursche, und es gab nichts, was er für seinen Herrn nicht getan hätte. Der alte Mann war ein Wüstling – ich glaube, der hat nicht einmal den Hund ausgelassen. Und Ampliatus hat sich auch um seine Frau gekümmert, wenn du verstehst, was ich meine.« Musa zwinkerte. »Jedenfalls erhielt Ampliatus seine Freiheit und von irgendwoher auch etwas Geld, und dann beschloss Jupiter, die Dinge ein wenig in Unordnung zu bringen. Das war zu Neros Zeit. Es war ein sehr schlimmes Erdbeben – das stärkste seit Menschengedenken. Ich war gerade in Nola, und ich glaubte, mein Ende wäre gekommen, das kann ich dir versichern.« Er küsste sein Amulett – einen Penis und Hoden aus Bronze –, das an einem Lederband um seinen Hals hing. »Aber du kennst ja das Sprichwort: Der Verlust eines
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