Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
sie? Er sollte das Phänomen aufzeichnen und in die nächste Ausgabe der Historia naturalis aufnehmen. Jeden Monat entdeckte er etwas Neues, das der Erklärung bedurfte.
    Seine beiden griechischen Sklaven warteten geduldig neben dem Tisch – Alcman zum Vorlesen, Alexion zum Niederschreiben von Diktaten. Sie taten seit kurz nach Mitternacht Dienst, denn Plinius hatte sich schon lange darauf eingestellt, mit wenig Schlaf auszukommen. »Wach sein heißt leben«, das war sein Motto. Der einzige ihm bekannte Mensch, der mit noch weniger Schlaf auskam, war Kaiser Vespasian gewesen. Mitten in der Nacht pflegten sie damals in Rom zusammenzukommen, um ihre amtlichen Geschäfte zu erledigen. Plinius' geringes Schlafbedürfnis war der Grund dafür gewesen, dass Vespasian ihm den Oberbefehl über die Flotte übertragen hatte. »Mein immer wacher Plinius« hatte er ihn mit seinem bäuerlichen Akzent genannt und ihn dann in die Wange gezwickt.
    Er sah sich in der Bibliothek um und betrachtete die Schätze, die sich während seiner Reisen in die Regionen des Imperiums angesammelt hatten. Hundertsechzig Bücher mit Notizen über alle interessanten Fakten, von denen er je gelesen oder gehört hatte. (Larcius Licinius, der Statthalter von Hispania Tarraconensis, hatte ihm vierhunderttausend Sesterzen für sie geboten, aber er hatte sich nicht in Versuchung führen lassen.) Zwei Stücke Magnetit, in Dacia zutage gefördert und von ihrer unerklärlichen Magie zusammengehalten. Ein Brocken glänzend grauen Gesteins aus Macedonia, der angeblich von den Sternen herabgefallen war. Ein Stück Bernstein aus Germanien mit einer darin eingeschlossenen uralten Mücke. Ein Stück konvexes Glas, gefunden in Afrika, das die Strahlen der Sonne sammelte und sie zu einem Punkt von so konzentrierter Hitze bündelte, dass selbst das härteste Holz sich verdunkelte und zu glimmen begann. Und seine Wasseruhr, die genaueste in Rom, gebaut nach den Angaben von Ktesibios von Alexandria, dem Erfinder der Wasserorgel; ihre Öffnungen waren durch Gold und Edelsteine gebohrt worden, damit sie nicht verrosteten und verstopften.
    Die Uhr war das, was er brauchte. Es hieß, Uhren wären wie Philosophen – man könnte keine zwei finden, die übereinstimmten. Aber eine Uhr von Ktesibios war der Platon der Zeitmesser.
    »Alcman, hol mir einen Krug Wasser.« Aber als der Sklave bereits auf dem Weg zur Tür war, änderte Plinius seine Meinung, denn hatte nicht der Geograph Strabon den Golf von Neapolis »eine Weinschale« genannt? »Ich glaube, Wein wäre angemessener. Aber etwas Billiges. Einen Surrentumer vielleicht.« Er ließ sich mühsam nieder. »Also, Alexion, wo waren wir stehen geblieben?«
    »Beim Aufsetzen eines Signals an den Kaiser, Herr.«
    »Ach ja. Richtig.«
    Jetzt, da es hell war, musste er Titus, dem neuen Kaiser, eine Licht-Botschaft zukommen lassen und ihn über das Problem mit dem Aquädukt informieren. Die Nachricht würde von einem Signalturm zum nächsten weitergeleitet werden, den ganzen Weg bis nach Rom, und gegen Mittag in den Händen des Kaisers sein. Und wie würde der neue Herr der Welt darauf reagieren?
    »Wir bringen das Signal an den Kaiser auf den Weg, und danach sollten wir vielleicht ein neues Buch beginnen und einige wissenschaftliche Beobachtungen festhalten. Würde dich das interessieren?«
    »Ja, Herr.« Der Sklave nahm seinen Griffel und eine Wachstafel auf und bemühte sich, ein Gähnen zu unterdrücken. Plinius tat so, als bemerkte er es nicht. Er tippte sich mit einem Finger gegen die Lippen. Er kannte Titus gut. Sie hatten zusammen in Germanien Dienst getan. Charmant, kultiviert, intelligent – und völlig skrupellos. Die Nachricht, dass eine Viertelmillion Menschen ohne Wasser war, konnte ohne weiteres einen seiner tödlichen Wutanfälle auslösen. Deshalb musste er seine Worte vorsichtig wählen.
    »Gaius Plinius, Befehlshaber der Flotte in Misenum, an Kaiser Titus mit Grüßen!«
     
    Die Minerva fuhr zwischen den beiden großen Molen hindurch, die den Hafeneingang schützten, und erreichte das offene Wasser des Golfs. Das zitronenfarbene Licht des frühen Morgens funkelte auf dem Wasser. Hinter dem Dickicht aus Pfählen, das die Austernbänke markierte und über dem die Möwen kreisten und schrien, konnte Attilius die Fischbecken der Villa Hortensia sehen. Er stand auf, um einen besseren Blick zu haben, und versteifte sich gegen das Schwanken des Schiffes. Die Terrassen, die Gartenwege, der Abhang, an dem Ampliatus

Weitere Kostenlose Bücher