Pompeji
Millionären, Leuten wie Ampliatus, überschwemmt worden. Attilius fragte sich, wie viele der Villenbesitzer – in ihrer fast trägen Entspanntheit ähnlich diesem glutheißen August, der sich in die Länge zog und jetzt in die vierte Woche ging – inzwischen wussten, dass der Aquädukt versagt hatte. Nicht viele vermutlich. Wasser war etwas, das Sklaven herbeischafften oder das auf wundersame Weise aus den Düsen von Sergius Oratas Duschbädern kam. Aber sie würden es bald genug erfahren. Sie würden es wissen, sobald sie gezwungen waren, das Wasser aus ihren Schwimmbecken zu trinken.
Je weiter sie nach Osten vorankamen, desto stärker beherrschte der Vesuv den Golf. Der untere Teil seiner Hänge war ein Mosaik aus bestellten Feldern und Villen, aber etwa ab halber Höhe bedeckte ihn dunkelgrüner, unberührter Wald. Über seinem spitz zulaufenden Gipfel hingen regungslos ein paar Wolkenfetzen. Torquatus erzählte ihm, dass man da oben sehr gut jagen konnte – Wildschweine, Hirsche, Hasen. Er sei viele Male dort oben gewesen, mit seinen Hunden und einem Netz und auch mit seinem Bogen. Aber man müsse sich vor Wölfen hüten. Im Winter war der Gipfel mit Schnee bedeckt.
Er hockte neben Attilius. Jetzt nahm er den Helm ab und wischte sich die Stirn. »Schnee in dieser Hitze«, sagte er, »kaum vorstellbar.«
»Ist der Vulkan schwer zu besteigen?«
»Nicht sonderlich. Leichter, als es den Anschein hat. Der Gipfel ist ziemlich eben. Spartacus hatte dort oben das Lager für sein Rebellenheer aufgeschlagen. Das muss eine Art natürliche Festung gewesen sein. Kein Wunder, dass dieser Abschaum die Legionen so lange abwehren konnte. Bei klarem Himmel kann man fünfzig Meilen weit sehen.«
Sie hatten die Stadt Neapolis passiert und befanden sich jetzt querab von einem kleineren Ort, von dem Torquatus sagte, es sei Herculaneum, obwohl die Küste einem derart kontinuierlichen Band aus Baulichkeiten glich – ockerfarbene Mauern und rote Dächer, hier und dort unterbrochen von dunkelgrünen, wie Speere aufragenden Zypressen –, dass man nicht immer sagen konnte, wo eine Stadt endete und die nächste begann. Am Fuße des üppigen Berges wirkte Herculaneum würdevoll und selbstzufrieden. Seine Fenster gingen auf die See hinaus. Im seichten Wasser am Ufer lagen leuchtend bunte Vergnügungsboote, von denen einige wie Meeresgetier geformt waren. Attilius sah Sonnenschirme am Strand und Leute, die von den Anlegern aus angelten. Musik und die Rufe Ball spielender Kinder wehten über das stille Wasser.
»Das da drüben ist die größte Villa am Golf«, sagte Torquatus. Er deutete mit dem Kopf auf einen riesigen, mit Kolonnaden geschmückten Besitz, der sich an der Küste entlang erstreckte und sich in Terrassen über die See erhob. »Das ist die Villa Calpurnia. Letzten Monat hatte ich die Ehre, den neuen Kaiser für einen Besuch bei dem früheren Konsul Pedius Cascus dorthin zu bringen.«
»Cascus?« Attilius versuchte, sich das Bild des echsenartigen, in seine purpurgestreifte Toga gehüllten Senators ins Gedächtnis zu rufen, den er am Vorabend kennen gelernt hatte. »Ich hatte keine Ahnung, dass er so reich ist.«
»Das Geld stammt von seiner Frau Rectina. Sie ist irgendwie mit der Familie Piso verwandt. Der Befehlshaber kommt oft hierher, um die Bibliothek zu benutzen. Siehst du diese Leute, die im Schatten neben dem Schwimmbecken lesen? Das sind Philosophen.« Torquatus fand das sehr komisch. »Manche Männer züchten zum Zeitvertreib Vögel, andere haben Hunde. Der Senator hält sich Philosophen.«
»Und von welcher Art sind diese Philosophen?«
»Anhänger des Epikur. Cascus zufolge sind sie der Ansicht, dass der Mensch sterblich, den Göttern sein Geschick gleichgültig und es deshalb das einzig Vernünftige ist, das Leben zu genießen.«
»Das hätte ich ihm auch sagen können.«
Torquatus lachte abermals, dann setzte er seinen Helm wieder auf und zog die Kinnkette straff. »Jetzt ist es nicht mehr weit bis Pompeji. In einer halben Stunde müssten wir dort sein.«
Er wanderte zum Heck zurück.
Attilius schirmte seine Augen ab und betrachtete die Villa. Mit Philosophie hatte er nie viel im Sinn gehabt. Weshalb ein menschliches Wesen einen solchen Palast erbte, ein anderer von Muränen zerrissen wurde und ein dritter sich beim Rudern einer Liburne in erstickender Dunkelheit das Kreuz brach – man konnte verrückt werden, wenn man herauszufinden versuchte, warum die Welt so beschaffen war. Warum hatte er
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