Pompeji
gebildet, hatten hinter seinem Rücken über ihn gelacht – seine Launen, seine Wutanfälle, seine Obsessionen. Aber damit war Schluss. Ihr häusliches Triumvirat war unter seiner erbarmungslosen Wut zerbrochen. Sie mussten ihre Zuflucht in Überlebensstrategien suchen, jeder in seiner eigenen. Corelia hatte mit angesehen, wie sich ihre Mutter zur perfekten römischen Matrone entwickelt hatte, mit einem Schrein für Livia in ihrem Ankleidezimmer, während ihr Bruder in seinem ägyptischen Kult aufgegangen war. Und sie? Was sollte sie tun? Popidius heiraten und sich einem zweiten Herrn unterordnen? In diesem Haushalt mehr zum Sklaven werden, als Ampliatus es je gewesen war?
Sie war zu sehr ihres Vaters Tochter, um sich nicht dagegen aufzulehnen.
»Lauft hinunter, ihr beide«, sagte sie bitter. »Wenn ihr wollt, könnt ihr die Schüssel mit Erbrochenem mitnehmen und sie ihm zeigen. Aber ich gehe nicht zu diesem blöden Spektakel.« Sie drehte sich auf die Seite und mit dem Gesicht zur Wand. Von unten kam ein weiteres Brüllen.
Ihre Mutter stieß den Seufzer einer Märtyrerin aus. »Also gut. Ich werde es ihm sagen.«
Es war genau so, wie Attilius vermutet hatte. Nachdem er sie etliche Meilen direkt auf den Gipfel zugeführt hatte, schwenkte die Abzweigung des Aquädukts plötzlich nach Osten ab, gerade als das Gelände zum Vesuv hin anzusteigen begann. Das Gleiche tat die Straße, und sie wandten zum ersten Mal der See den Rücken zu und zogen landeinwärts, den weit entfernten Ausläufern des Apenninus entgegen.
Die Leitung nach Pompeji entfernte sich jetzt öfter von der Straße, folgte den Gegebenheiten des Terrains und kreuzte immer wieder ihren Weg. Attilius erfreute sich an diesen Feinheiten der Aquädukte. Die großen römischen Straßen durchbrachen die Natur in geraden Linien und duldeten keine Widerstände. Aber die Aquädukte, die ein Gefälle von einer Fingerbreite pro Elle haben mussten - mehr, und der Strom würde die Mauern bersten lassen; weniger, und das Wasser würde stagnieren –, waren gezwungen, den Konturen des Geländes zu folgen. Ihre großartigsten Bauwerke wie die dreigeschossige Bogenbrücke im Süden von Gallien, die höchste der Welt, über die der Aquädukt von Nemausus geleitet wurde, waren oft weit von menschlichen Ansiedlungen entfernt. Manchmal konnten nur die Adler, die in der warmen Luft über einem Gebirge kreisten, die wahre Majestät dessen würdigen, was Menschen vollbracht hatten.
Sie hatten das Gitterwerk der bestellten Felder hinter sich gelassen und kamen jetzt in die Weinberge, die Großgrundbesitzern gehörten. An die Stelle der baufälligen Hütten in der Ebene mit ihren angepflockten Ziegen und ihrem halben Dutzend im Sand scharrender Hühner waren hübsche, über die unteren Hänge des Berges verstreute Bauernhäuser mit rot gedeckten Dächern getreten.
Als Attilius von seinem Pferd aus den Blick über die Weinberge schweifen ließ, fühlte er sich fast benommen angesichts dieser Fülle, dieser erstaunlichen Fruchtbarkeit, selbst inmitten einer Dürre. Er hatte den falschen Beruf gewählt. Er sollte das Wasser aufgeben und zu Wein überwechseln. Die Weinstöcke hatten sich der normalen Kultivierung entzogen und sich an allen erreichbaren Mauern und Bäumen emporgerankt bis hinauf zu den höchsten Ästen und sie in üppigen Kaskaden aus Grün und Purpur überwuchert. Kleine weiße Bacchus-Gesichter, zur Abwehr des Bösen mit offenen Augen und Mündern in Marmor gemeißelt, hingen reglos in der stillen Luft und lugten zwischen den Blättern hervor wie im Hinterhalt liegende, zum Angriff bereite Truppen. Es war Erntezeit, und auf den Feldern wimmelte es von Sklaven – Sklaven auf Leitern, Sklaven, die unter dem Gewicht der gefüllten Körbe auf ihrem Rücken fast zusammenbrachen. Aber wie in aller Welt, fragte er sich, konnten sie alles ernten, bevor es verfaulte?
Sie erreichten eine große, auf die Ebene hinausgehende Villa, und Brebix fragte, ob sie eine Pause einlegen dürften.
»Meinetwegen. Aber keine lange.«
Attilius stieg ab und streckte seine Beine. Als er sich die Stirn abwischte, färbte der Staub seinen Handrücken grau, und als er zu trinken versuchte, stellte er fest, dass seine Lippen verkrustet waren. Polites hatte zwei Laib Brot und ein paar Würste besorgt, und sie aßen hungrig. Die Wirkung von ein paar Bissen Nahrung auf einen leeren Magen war erstaunlich. Er spürte, wie seine Zuversicht mit jedem Mund voll wuchs. An solchen Orten war
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