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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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er immer am liebsten – nicht in irgendeiner schmutzigen Stadt, sondern draußen auf dem Land, bei den verborgenen Adern der Zivilisation unter einem ehrlichen Himmel. Ihm fiel auf, dass Brebix für sich allein dasaß, ging zu ihm, brach einen Laib Brot durch und hielt ihn ihm zusammen mit zwei Würsten hin. Ein Friedensangebot.
    Brebix zögerte, dann nickte er und griff zu. Er war bis zur Taille nackt, und sein Oberkörper war mit Narben übersät.
    »Was für eine Art von Kämpfer warst du?«
    »Rate.«
    Es war lange her, seit Attilius das letzte Mal bei den Spielen gewesen war. »Kein Retiarius«, sagte er schließlich. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie du mit einem Netz und einem Dreizack herumtanzt.«
    »Damit hast du Recht.«
    »Also ein Thrax. Oder vielleicht ein Murmillo.« Ein Thrax trug einen kleinen Schild und ein kurzes Krummschwert; ein Murmillo war wie ein Fußsoldat mit einem zweischneidigen Schwert und einem großen, rechteckigen Schild ausgerüstet. Die Muskeln von Brebix' linkem Arm – höchstwahrscheinlich seinem Schildarm – zeichneten sich so kraftvoll ab wie die seines rechten. »Ich würde sagen, ein Murmillo.« Brebix nickte. »Wie viele Kämpfe?«
    »Dreißig.«
    Attilius war beeindruckt. Es gab nicht viele Männer, die dreißig Kämpfe überlebten. »Zu welcher Truppe hast du gehört?«
    »Zu der von Alleius Nigidius. Ich habe rings um den Golf herum gekämpft. Meistens in Pompeji, aber auch in Nuceria und Nola. Nachdem ich mir meine Freiheit verdient hatte, ging ich zu Ampliatus.«
    »Du bist nicht Ausbilder geworden?«
    Brebix sagte leise: »Ich habe genug Töten gesehen, Aquarius. Danke für das Brot.« Er stand behände auf, in einer einzigen, fließenden Bewegung, und trat zu den anderen. Es war nicht schwierig, sich ihn im Staub des Amphitheaters vorzustellen. Attilius konnte sich denken, welchem Fehler seine Gegner aufgesessen waren. Sie hatten vermutlich geglaubt, er wäre massig, langsam, unbeholfen. Aber er war so flink wie eine Katze.
    Attilius trank einen weiteren Schluck. Er konnte über den ganzen Golf hinwegschauen, bis zu den Felseninseln vor Misenum – der kleinen Prochyta und dem hohen Berg von Aenaria –, und jetzt fiel ihm zum ersten Mal eine leichte Dünung des Wassers auf. Zwischen den Schiffen, die wie Eisenspäne über die gleißende, metallische See verstreut waren, waren kleine weiße Schaumkronen erschienen. Aber niemand hatte ein Segel gehisst. Das war merkwürdig, dachte er, und kaum vorstellbar, aber es war eine Tatsache: Es wehte kein Wind. Wellen, aber kein Wind.
    Eine weitere Eigentümlichkeit der Natur, über die Plinius nachdenken mochte.
    Die Sonne war gerade dabei, hinter dem Vesuv zu verschwinden. Ein Hasenadler – klein, schwarz, kraftvoll und berühmt dafür, dass er nie einen Schrei ausstößt – kreiste stumm über dem dichten Wald. Bald würden sie den Schatten erreichen, und das war gut, dachte er, denn dort würde es kühler sein, aber auch schlecht, weil es bedeutete, dass die Abenddämmerung nicht mehr fern war.
    Er trank sein Wasser aus und rief den Männern zu, dass sie weiter müssten.
     
    Stille auch in dem großen Haus.
    Sie spürte immer, wenn ihr Vater es verlassen hatte. Der ganze Bau schien erleichtert aufzuatmen. Sie legte sich ihren Umhang um die Schultern und lauschte noch einmal an den Läden, bevor sie sie öffnete. Ihr Zimmer ging nach Westen hinaus. Der Himmel an der gegenüberliegenden Seite des Hofes war so rot wie das Ziegeldach, und der Garten unter ihr lag im Schatten. Das Vogelhaus war noch immer mit einem Tuch abgedeckt, und sie zog es herunter, damit die Vögel ein bisschen Luft bekamen. Dann – sie gab einem Impuls nach, denn der Gedanke war ihr bis zu diesem Moment nie gekommen – hob sie den Riegel an und öffnete die Tür an der Seite des Käfigs.
    Sie zog sich in ihr Zimmer zurück.
    Die Gewohnheiten der Gefangenschaft lassen sich nur schwer abschütteln. Es dauerte eine Weile, bis die Distelfinken die Gelegenheit erkannten. Schließlich rückte einer der Vögel, kühner als die anderen, auf seiner Stange vor und hüpfte auf die Unterkante des Türrahmens. Er legte den kleinen schwarzroten Kopf schief, und ein winziges Auge blinzelte ihr einmal zu, dann schwang er sich in die Luft. Sie hörte das Schlagen seiner Flügel und sah in der Dämmerung etwas Goldenes aufblitzen. Er flatterte über den Garten und landete auf den Firstziegeln des Nachbarhauses. Ein weiterer Vogel flatterte zur Tür und flog

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