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Pompeji

Pompeji

Titel: Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Musas Augen waren in scheinbar ehrlicher Bestürzung weit aufgerissen. »Ich dachte, er würde mit dir zurückkommen. Ihm muss irgendetwas passiert sein!«
    Neben dem offenen Einstiegsloch hatten Musa und Corvinus ein Feuer entzündet, nicht, um sich zu wärmen – die Luft war immer noch schwülwarm –, sondern um das Böse abzuwehren. Das Holz, das sie gefunden hatten, war so trocken wie Zunder, und die Flammen leuchteten hell in der Dunkelheit und spuckten Fontänen aus roten Funken aus, die zusammen mit dem Rauch hochwirbelten. Riesige weiße Falter vermischten sich mit den Ascheflocken.
    »Vielleicht haben wir ihn irgendwo auf der Straße verfehlt.«
    Attilius schaute zurück in die zunehmende Dunkelheit. Aber bereits während er das sagte, wusste er, dass es nicht stimmen konnte. Ein berittener Mann hätte, selbst wenn er einen anderen Weg eingeschlagen hätte, genügend Zeit gehabt, Pompeji zu erreichen, festzustellen, dass sie aufgebrochen waren, und sie einzuholen. »Das macht keinen Sinn. Außerdem habe ich klar und deutlich gesagt, dass du die Nachricht überbringen sollst, nicht Corax.«
    »Das stimmt.«
    »Und?«
    »Er hat darauf bestanden, dass er dich holt.«
    Er ist davongelaufen, dachte Attilius. Das war die naheliegendste Erklärung. Er und sein Freund Exomnius – beide hatten sich aus dem Staub gemacht.
    »Dieser Ort«, sagte Musa, sich umschauend. »Ich will ganz ehrlich sein, Marcus Attilius – er ist mir unheimlich. Hast du dieses Geräusch vorhin gehört?«
    »Natürlich haben wir es gehört. Das müssen sogar die Leute in Neapolis gehört haben.«
    »Und warte nur ab, bis du siehst, was mit der Matrix passiert ist.«
    Attilius ging zu einem der Karren und holte eine Fackel, kehrte zurück und hielt sie in die Flammen. Sie fing sofort Feuer. Die drei Männer scharten sich um die Öffnung in der Erde, und wieder roch er aus der Dunkelheit aufsteigenden Schwefel. »Hol mir ein Tau«, sagte er zu Musa. »Es liegt beim Werkzeug.« Er sah Corvinus an. »Und wie ist es dir ergangen? Habt ihr die Schleusen geschlossen?«
    »Ja, Aquarius. Wir hatten eine kleine Auseinandersetzung mit dem Priester, aber Becco hat ihn überzeugt.«
    »Wann habt ihr es getan?«
    »Um die siebente Stunde.«
    Attilius massierte seine Schläfen und versuchte, sich ein Bild zu machen. In ungefähr zwei Stunden würde der Wasserstand in dem überfluteten Tunnel zu sinken beginnen. Aber wenn er Corvinus nicht sofort nach Abellinum zurückschickte, würde Becco seine Anweisungen befolgen und die Schleusen in der sechsten Nachtwache wieder öffnen. Die Zeitspanne war verdammt knapp. Sie würden es niemals schaffen.
    Als Musa zurückkehrte, reichte Attilius ihm die Fackel. Er knotete ein Ende des Taus um seine Taille und setzte sich auf den Rand des offenen Einstiegslochs. Er murmelte: »Theseus im Labyrinth.«
    »Wie bitte?«
    »Nichts. Die Hauptsache ist, dass du das andere Ende des Taus nicht loslässt.«
    Drei Fuß Erde, dachte Attilius, dann zwei Fuß Mauerwerk und sechs Fuß Nichts von der Tunneldecke bis auf den Grund. Elf Fuß insgesamt. Ich muss zusehen, dass ich gut lande. Er drehte sich um und ließ sich in den engen Schacht hinunter; seine Finger umklammerten den Rand des Lochs, und einen Augenblick lang blieb er so hängen. Wie oft hatte er das schon getan? Trotzdem war in mehr als einem Jahrzehnt nie das Gefühl von Panik geschwunden, unter der Erde begraben zu sein. Es war seine geheime Angst, die er nie jemandem gestanden hatte, nicht einmal seinem Vater. Vor allem nicht seinem Vater. Er schloss die Augen, ließ sich fallen und beugte beim Landen die Knie, um den Aufprall abzumildern. Einen Augenblick lang blieb er in der Hocke, versuchte, mit dem Schwefelgestank in der Nase, sein Gleichgewicht wiederzufinden, dann tastete er vorsichtig mit den Händen herum. Der Tunnel war nur drei Fuß breit. Trockener Zement unter seinen Fingern. Dunkelheit, als er die Augen öffnete – es war so dunkel, als wenn er sie geschlossen hätte. Er stand auf, schob sich einen Schritt zurück und rief zu Musa hinauf: »Wirf mir die Fackel herunter!«
    Die Flamme zuckte, als sie fiel, und einen Augenblick lang fürchtete er, sie wäre erloschen, aber als er sich nach ihrem Griff bückte, flammte sie wieder auf und beleuchtete die Wände. Der untere Teil war mit Kalk verkrustet, den das Wasser im Laufe der Jahre abgelagert hatte. Die raue, unebene Oberfläche glich eher einer Höhlenwand als etwas, das von Menschen geschaffen worden

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