Pompeji
hätte die Decke vermutlich auf einer langen Strecke einstürzen lassen – und das wäre eine Katastrophe gewesen. Aber der Schaden hier war eng begrenzt; eher so, als wäre das Land aus irgendeinem unerklärlichen Grund entlang einer schmalen Linie ein oder zwei Ellen hoch angehoben worden.
Er drehte sich im Kreis. Ja, jetzt konnte er es sehen. Die Erde hatte sich bewegt und die Matrix blockiert. Gleichzeitig hatte der Druck dieser Bewegung die Tunnelwand bersten lassen. Das Wasser hatte sich einen Ausweg gesucht und einen See gebildet. Aber wenn sie die Blockierung beseitigten und dafür sorgten, dass sich die Augusta entleerte …
In diesem Augenblick beschloss er, Corvinus nicht nach Abellinum zurückzuschicken. Er würde versuchen, die Reparatur über Nacht auszuführen. Sich dem Unmöglichen stellen: Das war römische Art! Er legte die Hände an den Mund und rief den Männern zu: »So, meine Herren. Die Bäder sind geschlossen! An die Arbeit!«
Frauen waren nur selten allein auf den öffentlichen Straßen von Campania unterwegs, und als Corelia an den ausgetrockneten, schmalen Feldern vorüberritt, auf denen Bauern ihr Tagwerk beendeten, wurde sie überall angestarrt. Selbst eine stämmige Bauersfrau, ebenso breit wie hoch und mit einer Hacke bewaffnet, wäre vermutlich davor zurückgescheut, sich um diese Tageszeit unbewaffnet hinauszuwagen. Aber eine ganz offensichtlich reiche junge Frau? Auf einem prächtigen Pferd? Das war eine verlockende Beute. Zweimal traten Männer auf die Straße und versuchten, die Zügel zu ergreifen, aber beide Male trieb sie ihr Pferd an, und nach ein paar hundert Schritten gaben die Angreifer die Verfolgung auf.
Von ihrem Lauschen am Nachmittag wusste sie, welche Route der Aquarius eingeschlagen hatte. Aber was ihr in einem sonnenbeschienenen Garten ganz einfach vorgekommen war – der Leitung nach Pompeji bis zu der Stelle zu folgen, wo sie sich mit der Augusta vereinigte –, war in der Abenddämmerung ein beängstigendes Unterfangen, und als sie die Weinberge in den Ausläufern des Vesuv erreicht hatte, wünschte sie sich, sie hätte sich nicht darauf eingelassen. Es stimmte, was ihr Vater von ihr sagte – starrköpfig war sie, ungehorsam, und so töricht, dass sie immer zuerst handelte und erst dann darüber nachdachte. Das waren die vertrauten Anschuldigungen, die er ihr am Vorabend in Misenum an den Kopf geworfen hatte, als sie nach dem Tod des Sklaven an Bord gingen, um nach Pompeji zurückzukehren. Doch jetzt war es zu spät zum Umkehren.
Die Arbeit war für diesen Tag beendet, und Reihen von erschöpften, stummen Sklaven, an den Knöcheln aneinander gekettet, schlurften in der Dämmerung am Straßenrand dahin. Das Klirren ihrer Ketten auf den Steinen und das Klatschen der Peitsche des Aufsehers auf ihren Rücken waren die einzigen Geräusche. Corelia hatte von solchen Elenden bereits gehört, die auf den größeren Farmen in Gefängnisblöcke gepfercht wurden und sich in ein oder zwei Jahren zu Tode arbeiteten; aber aus der Nähe hatte sie sie noch nie gesehen. Gelegentlich fand ein Sklave die Kraft, die Augen vom Straßenstaub zu erheben und ihrem Blick zu begegnen; es war, als schaute man in ein Loch zur Hölle.
Dennoch dachte Corelia nicht ans Aufgeben, auch dann nicht, als der Einbruch der Dunkelheit die Straße leerte und der Verlauf des Aquädukts schwerer zu verfolgen war. Der beruhigende Anblick der Villen auf den unteren Hängen des Berges verschwand, und an seine Stelle traten vereinzelte, im Dunkeln funkelnde Punkte von Fackel- und Lampenlicht. Ihr Pferd fiel in Schritt, und sie schwankte im Einklang mit seinen müden Bewegungen im Sattel.
Es war heiß. Sie hatte Durst. (Natürlich hatte sie vergessen, Wasser mitzunehmen; für dergleichen pflegten die Sklaven zu sorgen.) Sie war wund gerieben, wo ihre Kleider an der verschwitzten Haut scheuerten. Nur der Gedanke an den Aquarius und die Gefahr, in der er sich befand, trieb sie weiter. Vielleicht kam sie zu spät? Vielleicht war er schon ermordet worden? Sie begann sich gerade zu fragen, ob sie ihn jemals einholen würde, als sich die schwere Luft zu verfestigen und um sie herum zu summen schien und einen Augenblick später ein lautes Krachen ertönte, das von tief im Innern des Berges zu ihrer Linken kam. Ihr Pferd stieg, schleuderte sie rückwärts und hätte sie fast abgeworfen; die Zügel glitten durch ihre verschwitzten Finger, ihre feuchten Beine fanden an seinen bebenden Flanken keinen Halt
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