Poor Economics
Zutrauen kann ziemlich fatal sein. Wie wir schon gesehen haben, bringt der Glaube an eine S-Kurve die Leute dazu aufzugeben. Wenn Eltern und Lehrer nicht daran glauben, dass ein Kind es packen und in den steilen Teil der S-Kurve gelangen kann, dann unterstützen sie es dabei unter Umständen erst gar nicht. Der Lehrer beachtet Kinder nicht, die zurückbleiben, und die Eltern interessieren sich nicht mehr für ihre Ausbildung. Dieses Verhalten erzeugt eine Armutsfalle, wo zunächst gar keine war. Umgekehrt »bewahrheiten« sich Hoffnungen in Familien, die der festen Überzeugung sind, dass ihr Kind es schaffen wird, oder die nicht akzeptieren wollen, dass eines ihrer Kinder ohne Ausbildung bleibt; aus historischen Gründen sind dies in der Regel Familien, die der Oberschicht angehören. Wie einer von Abhijits Grundschullehrern gerne erzählt, ließen Abhijits Leistungen im ersten Schuljahr sehr zu wünschen übrig, aber alle redeten sich ein, es läge daran, dass er der Klasse eigentlich weit voraus sei und sich langweile. Deshalb wurde er in die nächsthöhere Klasse gesteckt, wo er prompt wieder das Schlusslicht bildete. Das Ganze ging so weit, dass der Lehrer Abhijits Hausaufgaben unter Verschluss hielt, damit seine Vorgesetzten ihn bloß nicht fragten, weshalb er den Jungen versetzt hatte. Wäre der nicht der Sohn zweier Akademiker gewesen, sondern der zweier Fabrikarbeiter, hätte man ihm ganz sicher nahegelegt, Nachhilfestunden zu nehmen oder die Schule zu verlassen.
Kinder folgen sogar selbst dieser Logik, wenn sie ihre eigenen Fähigkeiten bewerten sollen. Der Sozialpsychologe Claude Steele zeigte, wie mächtig die »Stereotypenfalle« in den USA ist: Frauen schneiden bei Mathe-Tests besser ab, wenn man ihnen vorher erklärt, dass das Stereotyp, Frauen seien mathematisch weniger begabt, für diesen speziellen Test nicht gelte. Afroamerikaner schneiden bei Tests schlechter ab, wenn sie auf dem
Deckblatt die Rassezugehörigkeit angeben müssen. 33 Zwei Forscher der Weltbank übernahmen Steeles Ansatz und ließen im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh Kinder aus niedrigen Kasten gegen Kinder aus höheren Kasten antreten; die Aufgabe bestand darin, den Weg aus einem Labyrinth zu finden. 34 Es zeigte sich, dass die Kinder aus den niedrigen Kasten sehr gut mit den anderen mithalten konnten, solange die Kastenzugehörigkeit nicht zur Sprache kam. Sobald sie jedoch daran erinnert wurden (indem man sie bat, vor Beginn des Spiels ihren vollen Namen zu sagen), dass sie gegen Kinder aus höheren Kasten antraten, schnitten sie viel schlechter ab. Die Autoren meinen, dieses Verhalten sei zum Teil dadurch zu erklären, dass die Kinder befürchteten, von den unübersehbar der Oberschicht angehörenden Organisatoren des Spiels nicht fair behandelt zu werden, es könnte sich aber auch um verinnerlichte Stereotypen handeln. Ein Kind, das damit rechnet, Probleme in der Schule zu haben, wird die Schuld bei sich selbst suchen und nicht bei den Lehrern, wenn es etwas nicht versteht. Und irgendwann kommt es dann zu dem Schluss, dass es – »dumm«, wie seinesgleichen eben ist, – nicht für die Schule geeignet ist, und klinkt sich ganz aus dem Bildungssystem aus, sitzt tagträumend in der Klasse oder verweigert wie Shantaramas Kinder den Schulbesuch.
Warum Schulen versagen
In vielen Entwicklungsländern zielen sowohl die Lehrpläne als auch der Unterricht eher auf die Kinder der Elite ab als auf die der Durchschnittsbevölkerung. Das ist der Hauptgrund, weshalb Versuche, mit zusätzlichen Mitteln die Situation der Schulen zu verbessern, in der Regel ohne Erfolg bleiben. In den frühen neunziger Jahren suchte Michael Kremer nach einer Möglichkeit, eine der ersten randomisierten Untersuchungen einer strategischen Intervention in einem Entwicklungsland durchzuführen. Für diesen ersten Test suchte er eine unstrittig positive Maßnahme,
die vermutlich deutlich erkennbare Auswirkungen haben würde. Schulbücher schienen sich hervorragend dafür zu eignen: Die Schulen im Westen Kenias, wo die Studie durchgeführt wurde, verfügten über sehr wenig Schulbücher, und man war fast einhellig der Meinung, dass man dringend welche brauchte. Von 100 Schulen wurden 25 nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, sie erhielten Schulbücher, die offiziell für diese Klassen zugelassen waren. Die Ergebnisse waren enttäuschend. Die Noten von Schülern, die Bücher bekommen hatten, und solchen, die weiter ohne Bücher lernen mussten, unterschieden
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