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Poor Economics

Poor Economics

Titel: Poor Economics Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abhijit Banerjee , Esther Duflo
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die Neuorganisation kenianischer Klassen zu
planen, dabei nutzten sie die Möglichkeit, die Klassen aufzuteilen, weil ihnen jeweils ein zweiter Lehrer zur Verfügung stand. Die Aufteilung erfolgte entsprechend den bisherigen Leistungen der Schüler. Die Lehrer wurden den »besseren« oder »schwächeren« Klassen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung zugelost. Die Lehrer, die eine »Niete« gezogen hatten und eine schwächere Klasse betreuen mussten, waren ziemlich entsetzt; sie sagten, bei diesen Kindern sei ihr Unterricht vergebliche Liebesmüh und man würde sie, die Lehrer, für deren schlechte Noten verantwortlich machen. Und genau so verhielten sie sich dann: Bei späteren, nicht angekündigten Besuchen wurden die Lehrer der »B-Klassen« seltener beim Unterrichten und häufiger beim Teetrinken im Lehrerzimmer angetroffen als die Lehrer der »A-Klassen«. 30
    Das Problem sind nicht die hohen Ansprüche allein; was wirklich schadet, ist das Zusammenspiel mit den niedrigen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit der Schüler. Einmal wollten wir Kinder in Uttarakhand testen, einem indischen Bundesstaat am Fuße des Himalayas. Es war ein herrlicher Herbsttag, und irgendwie hatten wir das Gefühl, die Menschen mit unseren Tests zu belästigen. Der Junge, der vor uns saß, empfand es ganz gewiss so. Als wir ihn fragten, ob er zur Schule ginge, nickte er heftig, und als wir ihm sagten, wir würden ihm einige Fragen stellen, schien er noch ganz kooperativ. Doch als der Interviewer ihm ein Blatt gab, das er lesen sollte, schaute er so entschlossen in die entgegengesetzte Richtung, wie es nur ein Siebenjähriger kann. Geduldig versuchte der Interviewer, den Jungen dazu zu bewegen, wenigstens einen Blick auf das Blatt zu werfen, lockte mit schönen Bildern und einer lustigen Geschichte, doch der Bub blieb hart. Seine Mutter murmelte ihm aufmunternde Worte zu, aber eine gewisse Halbherzigkeit in ihren Bemühungen signalisierte uns, dass sie nicht wirklich glaubte, er würde seine Haltung ändern. Als wir nach diesem »Interview« zum Auto gingen, näherte sich uns ein älterer Mann in einem kurzen, staubigen dhoti (einem Beinkleid, wie es Männer in dieser Region tragen) und einem
verblichenen T-Shirt. »Kinder wie unsere …«, sagte er und überließ es uns, den Satz zu vollenden. Denselben Pessimismus hatten wir im Gesicht der Mutter und in den Gesichtern vieler anderer Mütter gesehen. Sie sprach es nicht aus, aber sie war der Meinung, wir verschwendeten unsere Zeit.
    In Gesprächen über Armut und die Armen begegnet man immer wieder einem gewissen überkommenen soziologischen Determinismus, der sich auf die Zugehörigkeit zu einer Kaste, einer Klasse oder einer Ethnie bezieht. Ende der neunziger Jahre erstellte eine Gruppe unter der Leitung von Jean Dreze einen Bericht über den Zustand der Bildung in Indien ( Public Report on Basic Education, PROBE). Darin hieß es unter anderem:
    Viele Lehrer sind ängstlich bemüht, nur ja nicht in weit entfernte, »rückständige« Dörfer versetzt zu werden. Zum einen weil es unbequem ist, in ein entlegenes Dorf mit schlechter Infrastruktur zu pendeln oder dort zu leben … Zum anderen gibt es eine innere Distanz zu den Einheimischen, die angeblich ihr Geld für Schnaps vergeuden, bildungsunfähig sind oder sich aufführen »wie die Wilden«. Abgelegene Regionen werden als unfruchtbarer Boden für die Schaffenskraft eines Lehrers angesehen.
    Ein junger Lehrer erklärte dem Team, es sei unmöglich, mit den »Kindern von Bauerntrotteln« zu kommunizieren. 31
    Eine Studie sollte klären, ob dieses Vorurteil das Verhalten von Lehrern gegenüber Schülern beeinflusst. Dazu bat man Lehrer, einen Satz Abschlussarbeiten zu benoten. Die Lehrer kannten die betreffenden Schüler nicht, aber die Hälfte der Lehrer (die zufällig ausgewählt wurden) erfuhr die vollen Namen der Prüflinge (aus denen die Kastenzugehörigkeit abgelesen werden kann), die anderen bekamen die Arbeiten vollständig anonymisiert vorgelegt. Ergebnis: Die Lehrer benoteten Schüler aus niedrigen Kasten im Durchschnitt schlechter, wenn sie deren Kastenzugehörigkeit kannten. Interessanterweise traf das auf Lehrer, die selbst einer höheren Kaste angehörten, nicht zu. Es waren die Lehrer
aus niedrigeren Kasten, die Schülern aus niedrigeren Kasten häufiger schlechtere Noten gaben. Offenbar waren sie überzeugt davon, dass diese Kinder nichts leisten können. 32
    Diese Kombination aus hohem Anspruch und geringem

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