Poor Economics
Geschäftsführerin von Spandana, einem der größten indischen Mikrofinanzinstitute, erzählte uns, dass sie die Idee für ein solches Unternehmen nach einem Gespräch mit einer Müllsammlerin in Guntur, einer Stadt in Andhra Pradesh, hatte. Ihr war klar geworden, dass die Müllsammlerin, wenn sie denn nur das Geld zum Erwerb eines Karrens hätte, bereits binnen weniger Wochen in der Lage wäre, sich zig Karren zu kaufen, allein mit dem Geld, das sie nun nicht mehr täglich für die Karrenmiete bezahlen musste. Doch die Müllsammlerin besaß nicht genug Geld, um sich einen Karren zu kaufen. Warum, fragte sich Padmaja, lieh ihr niemand das Geld dafür? Die Müllsammlerin erklärte, die Bank würde jemandem wie ihr niemals etwas leihen. Und bei einem Geldverleiher wären die Zinsen so hoch, dass es sich nicht lohnte. Am Ende entschloss sich Padmaja, ihr einen Kredit zu geben. Die Müllsammlerin zahlte ihn getreulich ab, und ihr Geschäft florierte. Schon bald standen die Kreditsuchenden vor Padmajas Tür Schlange, sie kündigte ihre Stellung und gründete Spandana. 13 Jahre später, im Jahr 2010, hatte Spandana 4,2 Millionen Kreditnehmer und ein Kreditvolumen von 4,2 Milliarden Rupien.
Padjamas Geschichte weist viele Parallelen zu der von Muhammad Yunus auf, der als Vater des modernen Mikrofinanzwesens gefeiert wird: Banken geben sich nicht mit armen Leuten ab. Diese Lücke im Finanzsystem wird von Geldverleihern und Kaufleuten erkannt und gnadenlos ausgenutzt, indem sie unverschämt hohe Zinsen verlangen. In unserer Geschichte ist die Mikrofinanzierung eine phantastisch einfache Idee. Jemand, der nicht auf Kosten der Armen Geld machen will, tritt in den Markt ein und verlangt von den Armen gerade so viel Zins, dass sich sein eigenes Geschäft finanziell trägt, vielleicht einen kleinen Gewinn
erzielt, aber nicht mehr. Da sich der Zinseszinseffekt so stark auswirkt, kann bereits eine kleine Zinssenkung das Leben der Kunden verändern. Nehmen wir die Gemüseverkäuferinnen: Angenommen jede von ihnen bekäme einen Kredit über 1 000 Rupien (51 PPP-USD). Selbst wenn sie dafür einen immer noch saftigen Zinssatz von, sagen wir, 10 Prozent pro Monat zahlen müssten, könnten sie ihr Gemüse doch jetzt bar kaufen und nicht auf Kredit. In einem Monat hätte jede der Frauen bereits 4 000 Rupien (203 PPP-USD) gespart, die sie sonst dem Großhändler als Zinsen zahlen müsste, und damit mehr als genug, um ihren Kredit bei dem Mikrofinanzinstitut zurückzuzahlen. Sie könnten ihre Geschäfte ausbauen und schon bald der Armut entfliehen, zumindest theoretisch.
Doch selbst diese einfache Geschichte wirft Fragen auf. Es gibt viele Obst- und Gemüsegroßhändler in Chennai. Warum ist nicht einer von ihnen – oder ein unternehmerischer Geldverleiher – auf die Idee gekommen, den Zinssatz für die Frauen minimal zu senken? Er hätte den gesamten Markt beherrschen können und immer noch genug Gewinn gemacht. Warum mussten die Gemüseverkäuferinnen auf Leute wie Muhammad Yunus und Padmaja Reddy warten?
So gesehen sind die Fürsprecher des Mikrofinanzwesens zu bescheiden: Sie haben offenbar weit mehr getan, als Wettbewerb in einen monopolistischen Markt zu bringen. Andererseits sind sie eventuell auch zu optimistisch, was das Potenzial von Kleinstkrediten zur Armutsbekämpfung angeht. Trotz all der persönlichen Geschichten von Obstverkäufern, die zu Obstmagnaten wurden, über die auf diversen Websites von Mikrofinanzinstituten berichtet wird, gibt es immer noch unzählige arme Obstverkäufer in Chennai. Viele von ihnen gehen nicht zu einem Mikrofinanzinstitut, um sich Geld zu leihen, obwohl es in ihrer Stadt mehrere solche Institute gibt. Verzichten sie damit auf die Möglichkeit, aus der Armut herauszukommen, oder ist das Mikrofinanzwesen doch nicht das Wundermittel, für das wir es halten?
Warum es (nicht so) einfach ist, den Armen Geld zu leihen
Nur sehr wenige arme Haushalte bekommen Darlehen von »normalen« Kreditinstituten wie Banken oder Sparkassen. Bei einer Umfrage, die wir in Udaipur, einer ländlichen Region in Indien, durchführten, zeigte sich, dass zwei Drittel der Armen einen Kredit aufgenommen hatten. Kreditgeber waren in 23 Prozent der Fälle Verwandte und in 37 Prozent Ladenbesitzer, einen Geldverleiher hatten 18 Prozent der Kreditnehmer aufgesucht, ein richtiges Geldinstitut nur 6,4 Prozent. Für den niedrigen Anteil an Bankkrediten ist keineswegs ein schlechter Zugang zu Banken verantwortlich, denn
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