Poor Economics
eine ähnliche Verteilung findet man auch in der Stadt Hyderabad, wo Haushalte, die von weniger als 2 Dollar pro Tag leben, vor allem bei Geldverleihern (52 Prozent), Nachbarn und Freunden (24 Prozent) oder Familienmitgliedern (13 Prozent) Geld borgen. Nur 5 Prozent ihrer Kredite stammen von einem Kreditinstitut. In allen Ländern, deren Daten wir in unserem 18-Länder-Vergleich erfasst haben, besaßen weniger als 5 Prozent der armen Landbewohner und weniger als 10 Prozent der armen Städter einen Bankkredit.
Kredite aus informellen Quellen sind üblicherweise teuer. In Udaipur zahlen die von uns befragten Armen, die von weniger als 99 US-Cent pro Tag leben, im Durchschnitt 3,84 Prozent Zinsen pro Monat (das entspricht einem Zinssatz von 57 Prozent pro Jahr) für einen Kredit aus einer informellen Quelle. Dagegen nehmen sich selbst US-amerikanische Kreditkartenzinsen, die bekanntermaßen sehr hoch sind, noch bescheiden aus. Der Zinssatz für die Standardkreditkarte der Bank of America liegt bei etwa 20 Prozent pro Jahr. Die Armen, die zwischen 99 Cent und 2 Dollar pro Kopf und Tag zur Verfügung haben, zahlen etwas weniger: 3,13 Prozent pro Monat. Für diesen Unterschied gibt es zwei Gründe: Zum einen greifen die nicht ganz so Armen seltener auf informelle Geldquellen zurück als die bitter Armen, und richtige Geldinstitute sind billiger. Zum anderen berechnen die informellen Kreditgeber Armen in der Regel höhere Zinsen
als weniger Armen: Bei ihnen sinkt der durchschnittliche monatliche Zinssatz mit jedem Hektar Land, den der Kreditnehmer besitzt, um 0,4 Prozent
Die Zinssätze variieren je nach Land und Branche, aber das Grundprinzip ist überall gleich: Der Jahreszins bewegt sich in der Regel zwischen 40 und 200 Prozent (manchmal auch mehr), und die Armen bezahlen mehr als die Reichen. Dass so viele Leute zu diesen Zinssätzen Geld leihen, ist einigermaßen verblüffend. Es gibt Millionen von Menschen, die bereit wären, sich Geld zu einem Zinssatz zu leihen, den der durchschnittliche amerikanische Sparer liebend gerne für seine Ersparnisse bekäme. Warum rennen ihnen die Investoren nicht mit Geldkoffern bepackt die Türen ein?
Nicht dass man es nicht versucht hätte. Von den Sechzigern bis in die späten achtziger Jahre gab es in vielen Entwicklungsländern von der Regierung geförderte Kreditprogramme, üblicherweise mit subventionierten Zinssätzen, die auf die arme Landbevölkerung abzielten. Ab 1977 musste in Indien beispielsweise eine Bank für jede Filiale, die sie in einer Stadt eröffnete, vier weitere in ländlichen Gebieten ansiedeln, wo es bislang keine Bank gab. Außerdem wurden die Banken angewiesen, 40 Prozent ihres Portfolios an »bevorzugte Branchen« zu verleihen: kleine Betriebe, Landwirte, Kooperativen und Ähnliches. Robin Burgess und Rohini Pande zeigten, dass in Regionen, wo aufgrund dieser Politik mehr Bankfilialen entstanden waren, die Armut schneller abnahm. 2
Nur funktionierten diese erzwungenen Programme zur Kreditgewährung nicht so, wie man es sich vorgestellt hatte. Die Ausfallraten waren beängstigend hoch (40 Prozent in den achtziger Jahren). Die Kreditvergabe hatte oft mehr mit politischen Prioritäten als mit ökonomischen Bedürfnissen zu tun (viele Kredite an Bauern wurden dann gewährt, wenn Wahlen anstanden und man befürchten musste, dass es eng werden würde). 3 Und das Geld landete nicht selten in den Taschen der örtlichen Eliten. Sogar Burgess und Pande, deren Studie im Großen und Ganzen positiv
ausfiel, kamen zu dem Schluss, dass es weit mehr als eine Rupie kostet, das Einkommen eines Armen durch das Eröffnen von Bankfilialen um eine Rupie zu erhöhen. Und aus späteren Untersuchungen lässt sich ableiten, dass die Regionen, die mehr Bankfilialen erhalten hatten, im Endeffekt auf lange Sicht ärmer geworden waren. 4 Die Anweisung, Filialen auf dem Land zu gründen, wurde 1992 im Zuge der wirtschaftlichen Liberalisierung Indiens aufgehoben. Und auch in den meisten anderen Entwicklungsländern lässt sich ein ähnlicher Trend zum Einstellen der staatlichen Förderung von Programmen zur Kreditgewährung beobachten.
Das Experiment eines sozialen Bankwesens ist möglicherweise deshalb gescheitert, weil sich Regierungen besser nicht in subventionierten Kreditgeschäften engagieren sollten. Die Versuchung ist zu groß, Kredite als kleine Gefälligkeiten einzusetzen: Kann man jemandem einen größeren Gefallen tun, als ihm einen Kredit zu verschaffen, den er nicht
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