Poor Economics
wieder. Meistens war es ein negatives Ereignis (eine Erkrankung, ein anderer Notfall), das sie wieder in die Schulden zurücktrieb.
Und sobald das der Fall war, kamen sie nicht wieder von allein von den Schulden herunter. Diese Asymmetrie zwischen der Fähigkeit, von Schulden frei zu bleiben, und dem Unvermögen, aus der Verschuldung herauszukommen, erklärt, welche Rolle die Entmutigung für die Probleme mit der Selbstdisziplin spielt.
Umgekehrt können Optimismus und Hoffnung den entscheidenden Unterschied machen. Dabei muss Hoffnung nichts Großes sein: Das Wissen, dass man sich den Fernseher kaufen können wird, den man sich so gewünscht hat, kann genügen. Als wir an der Evaluation des Mikrofinanzprogramms von Spandana arbeiteten, nahm uns Padmaja Reddy einmal mit in die Slums von Guntur, dem Ursprungsort der Organisation, damit wir ihre Kunden kennenlernen konnten. Gegen 10.30 Uhr kamen wir auf einem kleinen offenen Platz an, wo etwa ein Dutzend Frauen beieinander stand. Als Padmaja, die sie offensichtlich kannten, fragte, was sie gerade taten, begannen sie zu kichern. Es war ihnen peinlich, wir konnten sehen, wie sie sich gegenseitig anschubsten, aber dann kam es doch heraus: Sie kochten Tee. Padmaja stimmte in das Lachen der Frauen ein, aber dann – immer noch lächelnd – hielt sie eine kurze Rede, wie sie ihre Zukunft verbessern könnten, wenn sie weniger Tee und Snacks kaufen würden.
Die meisten Mikrokreditinstitute sehen es nicht gern, wenn das geliehene Geld in Konsumartikel wandert – manche bemühen sich sogar sehr sicherzustellen, dass das Geld für Anschaffungen ausgegeben wird, die das Einkommen verbessern. Padmaja dagegen ist glücklich, solange ihre Kunden es für die Verwirklichung von langfristigen Zielen verwenden. Langfristige Ziele ins Auge zu fassen und sich daran zu gewöhnen, diese mit kurzfristigen Opfern zu erreichen, das sind in ihren Augen die ersten Schritte, einen der frustrierendsten Aspekte der Armut zu überwinden.
Weil Padmaja, wie oben beschrieben, die negativen Konsequenzen des ungezügelten Teekonsums so sehr betonte, fragten wir die Frauen (noch bevor wir das Spandana -Programm evaluierten),
für welche Dinge sie gern weniger Geld ausgeben würden. Als wir mit der Studie begannen, sagte Padmaja ganz zuversichtlich voraus, sobald die Leute wüssten, dass sie eine Chance hatten, ihr Teegeld in etwas anzulegen, das ihnen viel wichtiger war, würden sie diese »Luxusausgaben« problemlos zurückfahren. Wir hielten es nicht für nötig, sie daran zu erinnern, dass dies der gängigen Auffassung diametral entgegenstand, leicht zugängliche Kredite für die Armen seien eine Katastrophe, weil es ihnen dadurch möglich würde, problemlos ihren spontanen Wünschen nachzugeben, aber wir dachten auf jeden Fall daran, als wir uns etwa achtzehn Monate, nachdem die ersten Kredite gewährt worden waren, die Daten ansahen. Wir hätten uns wirklich keine Gedanken machen müssen. Padmaja wusste, wie ihre Kunden »ticken«. Wie wir in Kapitel 7 über Kredite gesehen haben, zieht der Zugang zu Mikrokrediten ganz eindeutig einen verringerten Kauf der Produkte nach sich, die uns die Frauen genannt hatten: Tee, Snacks, Zigaretten und Alkohol. Die monatlichen Ausgaben für diese Güter sanken um 100 Rupien (5 PPP-USD) pro Familie, die im Rahmen dieses Programms einen zusätzlichen Mikrokredit aufnahmen, oder um 85 Prozent der Ausgaben eines durchschnittlichen Haushalts. Mit dem Verzicht auf diese Art von Ausgaben ließe sich etwa ein Zehntel der monatlichen Rate für einen Kredit über 10 000 Rupien (450 PPP-USD) inklusive eines monatlichen Zinssatzes von 20 Prozent bestreiten. Später fanden wir ganz ähnliche Ergebnisse für die Kunden des Mikrofinanzinstituts Al Amana im ländlichen Marokko: Sie schränkten ihre Ausgaben für Feste ein (manche sogar die Ausgaben in allen Bereichen) und begannen zu sparen. 14
Natürlich ist die Vergabe von Mikrokrediten nur einer von vielen Wegen, wie wir Armen helfen können, daran zu glauben, dass einige langfristige Ziele tatsächlich erreichbar sind. Bessere Bildung für ihre Kinder hätte vermutlich den gleichen Effekt. Ebenso ein fester und sicherer Job, auf dieses Thema werden wir im nächsten Kapitel zu sprechen kommen. Helfen würde auch eine
Kranken- oder Wetterversicherung, die Armen müssten dann keine Angst haben, dass ihr hart erarbeiteter Notgroschen mit einem Schlag aufgebraucht ist. Oder ein soziales Sicherungsnetz: eine minimale
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