PopCo
auch niemand sagen, was er vorhatte. Auf seiner einsamen Insel, die man in der Nähe von Hispaniola vermutet, machte
er sich daran, ein Boot zu bauen. Man weiß nicht genau, wie lange es ihm möglich war, dort Nahrung zu finden, obwohl ein Teil
seiner Geschichte und seines täglichen Lebens in seinTagebuch einfloss, bis ihm das Papier ausging und der einzige Stift, der ihm zum Schreiben geblieben war. Und noch eines tat
Francis auf dieser Insel: Er fertigte eine Abschrift der Schatzkarte an, auch diese selbstverständlich in Code, und adressierte
das Schreiben an Molly Younge. Dann verschloss er es in der Flasche, in der er das wenige ihm erlaubte Wasser mit auf die
Insel genommen hatte, und warf sie ins Meer.
KAPITEL SIEBZEHN
M ittwochmorgen. Ich habe alle meine Klamotten satt. Wobei Satthaben es nicht ganz trifft, das ist irgendwie das falsche Wort.
Es ist wohl schlicht und einfach so, dass mir alles, was ich dabeihabe, inzwischen leicht angeschmuddelt vorkommt. Was haben
sich die PopCo-Koordinatoren eigentlich vorgestellt, wie wir an frische Unterwäsche und so was kommen sollen? Irgendetwas
müssen sie arrangiert haben, schließlich haben sie auch sonst an alles gedacht. Wahrscheinlich gibt es irgendwo in diesem
Riesenhaus ein Zimmer voll Designer-Unterwäsche für Männer und Frauen – das würde mich gar nicht wundern. Oder eine Wäscherei.
Genau. Es gibt garantiert eine Wäscherei. Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Ich muss mich nachher gleich danach
erkundigen.
Ein paar von den Frauen hier – eine arbeitet, soviel ich weiß, mit Puppen – tragen fast die gleiche Frisur. Ich habe das mal
etwas genauer analysiert. Sie stecken einzelne Haarsträhnen mit silbernen Spängchen zurück, die einen merkwürdigen, aber hübschen
flachen Heiligenschein bilden. Woher kommt mein Impuls, das heute auch auszuprobieren? So einem Drang würde ich natürlich
nie im Leben nachgeben. Aber wieso kommt mir der Gedanke überhaupt? Wurde ich etwa mit einem besonders aufdringlichen entstehenden
Trend geschwängert? Abtreiben, auf der Stelle. Ein absolut ungewollter Trend. Während ich noch dem feindlichen Gedanken nachhänge,
der sich da in mein Hirn drängen wollte, streife ich meinen Cordrock und ein T-Shirt über und flechte mir die Haare zu den üblichen Zöpfen. Ich mag meine Zöpfe: Sie sehen aus wie zwei Schiffstaue. Außerdem
trägt hier sonst niemand die Haare so.Jeans unter Röcken: Das ist auch so ein Ding. Vor ein paar Monaten kam eine Kollegin mit einem superknappen Mini über einer
verwaschenen Jeans mit ausgestellten Beinen zur Arbeit. Anfangs wirkte das reichlich merkwürdig, doch schon nach ein paar
Wochen trugen mindestens zehn Kolleginnen regelmäßig solche Outfits. Und natürlich hatte sich jede ihren «individuellen Touch»
überlegt. Eine trug am liebsten dünne Blumenröckchen, die knapp unterm Hintern endeten und beim Gehen flatterten, sodass es
ohne Jeans gar nicht gegangen wäre. Eine andere versuchte es mit knielangen Bleistiftröcken und Jeans mit starkem Schlag und
Blumenapplikationen an den Hosenbeinen. Inzwischen fühlt man sich schon fast nackt, wenn man einfach nur eine Jeans ohne Rock
im Büro trägt. Wie kommt so was zustande? Woher nimmt überhaupt noch irgendwer die Zeit, sich solche Sachen auszudenken, während
anderswo auf der Welt noch immer Menschen verhungern? Vermutlich war es aber schon immer so, auf die eine oder andere Weise.
Man muss ja nur an die unglaublichen Roben denken, die Elisabeth I. trug, während die Bauern auf dem Land Hunger litten. Da wundert es eigentlich gar nicht, dass die Pilgerväter, die etliche
Jahre später das Land verließen, die denkbar schlichteste Kleidung trugen.
Ich kann mich noch gut an eine von Chi-Chis gruseligen, koksgeschwängerten Ansprachen erinnern, in der sie uns erklärte, warum
wir in unserem kleinen Backsteinbau in Battersea eigentlich der Nabel der Welt seien. «Wir sind ein junges Team», erklärte
sie. «Wir sind Künstler, Designer, Visionäre. Jeden Tag bereiten wir die Basis für die Jugendkultur. Klar, wir stellen hauptsächlich
Spielzeug her, aber wir schaffen auch Slogans, Haltungen, Lifestyles. Damit verdienen wir unser Geld. Und nach der Arbeit
gehen wir mit den Leuten von Levi’s und Diesel und MTV ein Bier trinken. Jeder kennt jeden. Schaltet mal nächste Woche
Top of the Pops
ein, und ihrwerdet sehen, dass die Jungs und Mädels in den Bands genau die
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