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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Schlüsseltext einigen, und kein Mensch würde je herausfinden, welcher es ist, es sei denn, er beobachtet uns ständig und
     merkt sich alle Bücher, die wir beide lesen. In dieser Situation wäre es unmöglich, sämtliche in Frage kommenden Schlüssel
     zu überprüfen.»
    «Warum benutzen dann nicht alle immer diesen Code?», frage ich zwischen zwei Schlucken Tee.
    «Nun, er eignet sich gut, wenn zwei normale Menschen miteinander kommunizieren wollen.» Mein Großvater zündet seine Pfeife
     an. «Aber wären wir beispielsweise im Krieg und ich befände mich auf einem Schiff, dann würde er uns wenig nützen. Angenommen,
     der Feind kapert das Schiff und findet einen zerlesenen Roman neben der Funkanlage. Dann braucht er nicht einmal das Buch
     einzupacken und zu versenden; er müsste einfach nur den Titel an die Kommandozentrale durchgeben, und die dortigen Kryptoanalytiker
     könnten sich problemlos eine eigene Ausgabe beschaffen. Um den Schlüssel zu ändern, müsste man jedes Mal sämtliche Mitarbeiter
     in der Nachrichtenübermittlung mit einem Exemplar des neuen Romansausstatten. So könnte man den Schlüsseltext womöglich sogar identifizieren, indem man die Bestsellerlisten des jeweiligen
     Landes beobachtet! Oder Spione in Buchhandlungen oder beim Grossisten einschleust.»
    Aus der Pfeife meines Großvaters kräuseln sich Rauchschwaden, der tröstliche Duft seines Kirschtabaks erfüllt den Raum.
    «Aber Francis Stevenson hat diese Verschlüsselungsmethode verwendet?»
    «Ja. Die Zahlen, die er aufgeschrieben hat, korrespondierten mit einem bestimmten Text, und er hatte John Christian erzählt,
     dass er in einer solchen Situation diesen Text verwenden würde. Für seine Zwecke war es der perfekte Code.»
    «Dann musstest du also nur herausfinden, welches Buch er benutzt hat?»
    «So, wie du das sagst, hört es sich an wie ein Kinderspiel! Aber du hast recht. Nachdem ich mir seine Lebensgeschichte zusammengereimt
     hatte, habe ich mich auf die Texte konzentriert, die er zum Verschlüsseln seiner Botschaft verwendet haben könnte. Aber natürlich
     beschränkte sich das nicht darauf, einfach verschiedene Bücher auszuprobieren. Ich musste das Problem auch von der anderen
     Seite angehen, die Länge der Codebotschaft berücksichtigen, ihre mögliche oder wahrscheinliche Gliederung, einzelne Wörter,
     mit denen sie oder zumindest Teile davon anfangen oder enden konnten. Ich beschäftigte mich mit Satzstrukturen und grammatischen
     Formen, die Anfang des 17.   Jahrhunderts gebräuchlich waren. Ich schloss alle Bücher aus, die keine zwingend erforderlichen Wörter wie ‹Gold› oder ‹Schatz›
     enthielten. Eigentlich habe ich mich die ganze Zeit über nicht wie ein Kryptoanalytiker gefühlt, sondern eher wie ein Detektiv.
     Konnte Stevenson dort gewesen sein? Konnte er dieses oder jenes Buch gelesen haben? Wie hat dieser Text wohl im 17.   Jahrhundert ausgesehen? Hat er die Zahlen von vorn nach hinten oder von hinten nach vornangeordnet? Ging er von der Folioseite aus oder von einem anderen Seitenformat? All diese Fragen haben mich jahrelang beschäftigt.»
    Ich betrachte die abgenutzte Holzplatte unseres Küchentischs, suche nach Mustern in der Maserung. Das mache ich immer, wenn
     ich nachdenken muss: Ich suche nach Mustern im Holz, auf den Vorhängen oder auch in den Rissen an der Decke.
    «Haben dir vielleicht die Zahlen selbst weitergeholfen?», frage ich.
    Mein Großvater lächelt mich an. «Sehr gut», sagt er. «Dann erklär du es mir mal.»
    Ich blinzele heftig, um meine Pupillen wieder auf normale Größe zu bringen. «Was denn?»
    «Was ist dir an den Zahlen aufgefallen?»
    Ich starre immer noch auf den Tisch. Der alte Brandfleck da sieht aus wie ein kleiner Vogel. Vielleicht auch wie ein Kaninchen.
    «Die Zahlen sind alle dreistellig oder kleiner», sage ich mit gerunzelter Stirn. «Ähm   …»
    «Und was ist die höchste Zahl?»
    Ich schlage das Büchlein wieder auf. «Zweihundertirgendwas», sage ich, nachdem ich es durchgeblättert habe. «Keine der Zahlen
     fängt mit 3 an.»
    «Ganz genau. Wenn du dir jetzt beispielsweise die Beale Papers anschaust, sind die Zahlen ziemlich groß, beim ersten der drei
     Texte teilweise höher als 2000.   Wurde dafür also ein längerer Text verwendet? Oder ein wenig gebräuchlicher Wortschatz? Inzwischen wissen wir natürlich, dass
     der erste Text der Beale Papers mit Hilfe der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verschlüsselt wurde. Aber das

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