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geraume Zeit in der Nähe des Museums, um das Geheimnis des Schatzes von Francis Stevenson
zu lüften. Er schrieb sogar ein Vorwort für die Neuauflage der Museumspublikation; doch kurz darauf fielen fast alle Exemplare
einem Museumsbrand zum Opfer, bei dem auch jene Flasche zerstört wurde, die Francis Stevensons letzte Botschaft an die Welt
enthalten hatte.
Während mein Großvater mir das alles erzählt und der Regenunerbittlich an die Scheiben trommelt, betrachte ich das kleine Buch in meiner Hand. Zwischen den dünnen, blutroten Buchdeckeln
befinden sich Francis Stevensons ursprüngliche Worte, inzwischen in ein Druckbild des 20. Jahrhunderts gebannt, sowie spaltenweise Zahlen, die das Geheimnis des Schatzes bergen. Es fällt mir schwer zu begreifen,
wie etwas so sehr nach Märchen klingen kann und trotzdem wahr sein soll.
«Das ist natürlich nur ein Nachdruck des ursprünglichen Pamphlets von der American Cryptogram Association», sagt mein Großvater
und deutet auf das Buch. «Wahre Schatzsucher sind vermutlich besser beraten, sich auf die Suche nach einem der zehn Exemplare
des Edgar-Allan-Poe-Originals zu machen, die den Brand damals überstanden haben sollen.»
«Warum denn?», frage ich. «Sind die besser?»
«Nein, nein.» Mein Großvater lacht leise. «Nur äußerst selten. Sammlerstücke. Jedes einzelne ist mindestens eine Dreiviertelmillion
Dollar wert. Sie sind also selbst schon kleine Schätze.»
«Meine Güte», sage ich und stoße einen beeindruckten Pfiff aus, wie ich es von meinen Klassenkameraden kenne, wenn jemand
ein richtig gutes Pausenbrot dabeihat oder beim Fußballspielen auf dem Schulhof ein tolles Tor schießt.
«Du weißt ja, dass das Voynich-Manuskript ursprünglich auch bei einem Antiquar entdeckt wurde. Diese Leute sind ein Quell
vieler solcher Rätselschriften, und manche werden sogar reich damit. Allerdings nicht der arme Voynich. Ihm ist es einfach
nicht gelungen, sein Buch zu verkaufen, und lesen konnte er es auch nicht.»
«Armer Voynich», wiederhole ich.
Mein Großvater steht auf, um frisches Wasser aufzusetzen, und erzählt weiter, während er in der Küche herumhantiert. «Als
ich zum ersten Mal vom Stevenson-Heath-Manuskript hörte,war ich überzeugt, es würde sich als Fälschung entpuppen, vielleicht sogar als weitere Fälschung Poes. Jeder, der sich für
Kryptoanalyse interessiert, kennt natürlich Poes Erzählung
Der Goldkäfer
, von der allgemein behauptet wird, dass darin erstmals ein echter Code mitsamt seinem Schlüssel Einzug in die Literatur gehalten
habe.» Mein Großvater greift lächelnd nach der Teedose. «Wenn man allerdings Codes und Chiffren sucht, die in den Texten selbst
verborgen sind, wird man praktisch überall fündig. Bei Shakespeare – zumindest behaupten das die Baconianer –, in der Bibel und weiß der Himmel wo sonst noch. Aber wie gesagt, ich war mir sicher, das Manuskript müsse eine Fälschung
sein. Ich hatte mir schon vor dem Krieg einiges Material dazu angeschaut, doch dann musste ich mich wie wir alle erst einmal
mit anderen Dingen beschäftigen.» Er gießt das Wasser in die Teekanne und stellt sie auf den Küchentisch. Dann holt er zwei
Becher aus dem Schrank, das Milchkännchen und die angestoßene kleine Zuckerdose, setzt sich wieder mir gegenüber hin und stopft
umständlich seine Pfeife.
«Kurz nach dem Krieg musste ich eine Tante in Torquay besuchen, und während des Aufenthalts dort kam mir das Stevenson-Heath-Manuskript
wieder in den Sinn. Die Bibliothek von Torquay verfügt über ein Archiv mit historischen Dokumenten, und ich dachte mir, ich
könnte einmal dort vorbeischauen und mir die Kirchenbücher von St. Andrew in Plymouth aus dem frühen 16. Jahrhundert anschauen. Ich war gespannt, was sich dort finden würde. Natürlich rechnete ich nicht damit, auf Aufzeichnungen
über Francis Stevensons Geburt oder etwas ähnlich Eindeutiges zu stoßen – er war ja ganz woanders zur Welt gekommen. An der
Geschichte, wie ich sie kannte, klang mir vor allem eines erfunden, die Tatsache nämlich, dass Stevenson ein Waisenkind ohne
weitere familiäre Bindungen gewesen sein soll. In den Kirchenregistern von St.Andrew suchte ich allerdings nach anderen Einträgen: John Christians Taufe, Beweise dafür, dass Stevenson die Kirche besucht
hatte. Ich wurde nicht fündig. Dann stieß ich ganz unversehens auf ein Kirchenregister aus der Gegend um Tavistock, wo Stevensons
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