PopCo
noch einen Schluck Bier. Aber im Ernst. Das ist doch
Blödsinn. Ich verbrenne den Zettel und überlege, wie ich darauf reagieren soll, doch weil ich nicht weiß, mit wem ich es zu
tun habe, fällt mir auch nichts Rechtes ein. Ist mein Brieffreund ein guter Beobachter? Kann er – oder sie – Hinweise deuten?
Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Kann ich vielleicht auch gar nicht reagieren? Wohl kaum. Ich will unbedingt wissen,
wer das ist und was er mir zu sagen hat. Ich hoffe nur inständig, dass es sich nicht am Ende als Teaser für irgendein neues
Produkt entpuppt.
Als ich bei PopCo anfing, waren Computerviren und virenartig verbreitete Spam-Mails noch einigermaßen neu, zumindestfür die Leute, die gerade erst dazu übergegangen waren, den ganzen Tag am Rechner zu sitzen. Irgendwann kam ein junger Typ
aus der Marketingabteilung bei einem Produktlaunch auf die Idee, die Leute über Spam-Mails auf das Produkt aufmerksam zu machen,
das firmenintern schon als der große Weihnachtserfolg des Jahres hochgejubelt wurde. Fünfzehn Stunden später hatte die Mail
den Globus einmal umrundet und machte sich bereits zur nächsten Runde auf. Kurz darauf hatten die Ersten die Nase voll und
fingen an, nach dem Urheber zu fahnden. Als herauskam, dass es sich um den Marketing-Gag einer Firma handelte, war die Hölle
los. Das Spielzeug musste vom Markt genommen werden, der Marketingtyp flog in hohem Bogen. Und das Team, das dieses Produkt
entwickelt hatte, war natürlich stinksauer. All die Arbeit für nichts und wieder nichts. Was nur wieder beweist, dass man
Leute durchaus mehrmals mit den gleichen Informationen versorgen kann – doch wenn man es einmal übertreibt, wollen sie weder
von der Information je wieder etwas wissen noch von sonst etwas, das damit in Zusammenhang steht.
Es ist fast elf. Ich schalte mein Radio ein und höre zu, wie die sanfte Stimme der Radiosprecherin langsam von experimenteller
Orgelmusik überlagert wird. Am Ende der Ansage weiß ich, dass es sich um eine Sondersendung zu Ehren einer Komponistin handelt,
die sich das Leben genommen hat. Die Musik ist karg, sonderbar und magisch. Ich lasse mich aufs Bett sinken, und mit einem
Mal gibt es nichts mehr auf der Welt als dieses Fis und mich und gleich darauf ein majestätisches, einsames A. Ich bin plötzlich nicht mehr hier, beobachte nur noch von einem unsichtbaren Standort aus, vielleicht als Wolke oder Hauch
von Nichts. Ich sehe einen Wald mit einer Hütte darin, die nur aus dieser einen Note, dem A, besteht, dann kommt unerwartet
ein Freund zu Besuch, ein b-Akkord, der ein Geschenk mitbringt, ganz aus Heu oder Gras gemacht.Schlafe ich? Wahrscheinlich, denn ich kriege keine Antwort auf diese Frage. Nicht eine.
Als ich aufwache, ist es sechs Uhr früh, und das Radio läuft immer noch. Ich habe den Impuls, es auszuschalten, mich auszuziehen
und wieder zurück ins Bett zu kuscheln, um noch eine Stunde «richtig» zu schlafen, bevor ich zum Frühstück nach unten muss.
Doch nachdem ich auf dem Klo war, ein Weilchen mein komisches Spiegelbild betrachtet und das Radio ausgeschaltet habe und
gerade anfangen will, mich auszuziehen, stelle ich fest, dass ich eigentlich gar nicht mehr müde bin, und mache mich stattdessen
auf den Weg in die Küche, um mir einen Tee zu kochen.
Vom Küchenfenster aus sehe ich, wie die Morgendämmerung am Himmel herumknabbert, als wäre er ein Keks, auf den sie eigentlich
keine rechte Lust hat. Auf dem Gras liegt noch der Tau, und mir fällt ein, dass mir einmal jemand erzählt hat, Tau könne magische
Kräfte entwickeln, wenn man ihn bei Mondlicht aufliest. Als ich mit dem Tee wieder auf meinem Zimmer bin, denke ich erneut
darüber nach, wie ich auf die Nachricht reagieren soll. Es ist frustrierend: Ich weiß,
was
ich sagen will, ich weiß nur nicht,
wie
ich es sagen soll. Im Grunde ist es kinderleicht, eine längere Botschaft zu verschicken. Man vereinbart ein Buch als Schlüssel
und erstellt einen Code aus Zahlen, die den Wörtern im Text entsprechen, wenn man sie durchzählt. Aber wie soll ich das dem
Schreiber erklären? Selbst wenn ich mit Hilfe der PopCo-Chiffre eine Nachricht verfasse (was vermutlich schon eine Ewigkeit
dauern wird), weiß ich noch immer nicht, wie ich sie weitergeben soll.
Es gibt natürlich auch noch andere Wege, längere Geheimbotschaften zu verschicken. Meine persönliche Lieblingsmethode habe
ich in mein KidTec-Set für
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