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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Gummistiefel. In der
     Hand hält er eine Hundeleine. Er ist mehrfacher Milliardär.
    Ich murmele etwas von Recherchen vor Ort und einer Übernachtung bei einer Freundin. Mein Hirn überschlägt sich fast, um mit
     mir Schritt zu halten. «Meine Freundin musste heutesehr früh zur Arbeit, und sie hat nur einen Schlüssel, deshalb   …»
    Schwerer Ausnahmefehler: Es ist Samstag. Aber das scheint ihm gar nicht aufzufallen. Natürlich kann es sein, dass meine Freundin
     auch samstags zur Arbeit muss – aber wann habe ich zuletzt jemanden gekannt, der tatsächlich früh am Samstagmorgen gearbeitet
     hätte? Mit achtzehn, glaube ich, als meine Freundin Rachel in einem Fastfood-Laden jobbte. Doch Mac sagt irritierenderweise
     nur «Schon gut» und schaut mich dann an, als würde er erwarten, dass ich einfach mit dem fortfahre, was ich auch getan hätte,
     wenn er nicht aufgetaucht wäre. Schade nur, dass ich gerade völlig ratlos war.
    «Tja», sage ich. Eigentlich will ich nur weg von dem CEO dieses globalen Unternehmens, für das ich arbeite, aber ich weiß
     nicht wohin, was wiederum ihm klar sein muss. Also bleibe ich einfach stehen und verwerfe sämtliche Vorschläge meines Hirns
     als unoriginell, blöd oder vollkommen albern. Aber schließlich mache ich doch etwas komplett Unoriginelles: Ich benutze einen
     von Steve «Mac» MacDonalds eigenen Wahlsprüchen. «Routine ist schließlich der Tod der Kreativität», sage ich ohne direkten
     Zusammenhang, während alle Zellen meines Körpers, inklusive derjenigen, die für das blöde Grinsen auf meinem Gesicht verantwortlich
     sind, lauthals protestieren und meinem Hirn
Abbruch! Abbruch!
zurufen. Die Situation ist ausweglos. Er rührt sich nicht. Ich rühre mich auch nicht. Es vergehen gefühlte hundert Jahre.
    Dann kommt plötzlich ein schwarzer Labradorwelpe angerannt. «Ach, da ist sie ja», sagt er und geht in die Hocke, um die kleine
     Hündin zu begrüßen. Doch anstatt zu ihm und der baumelnden Leine zurückzukehren, rast sie auf mich los und wedelt dabei so
     aufgeregt mit dem Schwanz, dass ihr ganzes Hinterteil wackelt wie ein Metronom. Ich mag Hunde undbücke mich, um sie zu streicheln, wodurch sie völlig aus dem Häuschen gerät. Begeistert springt sie an mir hoch, und als ich
     herunterschaue, habe ich zwei matschige Pfotenspuren auf dem Rock.
    «Oh, das tut mir leid.» Steve MacDonald kommt herüber und legt die Hündin wieder an die Leine. Sie springt auch an ihm hoch,
     und mir fällt auf, dass seine edle Jeans schon ziemlich verschmiert ist. «Tja. Nun sind wir beide dreckig. So was Dummes.»
     Dann lächelt er. «Was machen wir denn jetzt mit dir?» Einen Moment lang denke ich, er spreche mit dem Hund, dann wird mir
     klar, dass er mich meint.
    «Ich muss einfach nur wissen, wo ich hin soll», sage ich. «Gibt es vielleicht jemanden   …?»
    «Nein, nein, um diese Zeit noch nicht. Na komm, ich zeige dir den Weg. Ich bin übrigens Mac.»
    Als ob ich das nicht wüsste. Immerhin weiß ich jetzt, wie ich ihn anreden soll. Dan wird sicher ganz bleich und fängt an zu
     stottern, wenn ich ihm erzähle, wie nah ich unserem großen Vorsitzenden gekommen bin. Mir wird klar, dass ich unwillkürlich
     Anekdoten sammle, bevor überhaupt etwas Erwähnenswertes passiert ist. Dabei hasse ich Anekdoten.
    Schweigend umrunden wir das Haus, besser gesagt einen Flügel davon, bis wir zu einer Art kleinen Stalltür kommen. Mac öffnet
     sie, und der von der Leine gelassene Hund flitzt hindurch. Von drinnen ruft eine Frauenstimme: «Steve, es ist kaum noch Milch
     da.» Das fühlt sich jetzt deutlich mehr nach privater als nach beruflicher Situation an, und plötzlich ist es mir schrecklich
     peinlich, am Wochenende ohne Einladung im Haus des CEO aufgetaucht zu sein. Mac macht die Tür wieder zu und sieht mich an.
    «So», sagt er. «Also dann.»
    «Tut mir leid, dass ich so viele Umstände mache», sage ich. «Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich später gekommen.»
    «Das macht doch nichts», sagt er. «Aber   … entschuldige   … du bist   …?»
    «Alice. Alice Butler.»
    «Ah», sagt er. «Ja. Die Codeknackerin.»
    Woher weiß er das denn? Merkt er sich etwa persönliche Details zu all den mehreren tausend Kreativen, die in seiner Firma
     arbeiten? Vermutlich. Wahrscheinlich steht das so in einem dieser Managerbücher über Mäuse und dergleichen:
Merken Sie sich immer die Namen Ihrer Mitarbeiter
. Oder auch nicht.
Die Codeknackerin
. Das ist schon seltsam.

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