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PopCo

PopCo

Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Schlüssel aus der Tasche und schaltet von Nachdenklichkeit
     zurück auf Geschäftsmodus. «Gut. Warte kurz, ich bin gleich wieder da.»
    Hier draußen riecht es wie in einem perfekten Mädchenzimmer. Saubere, blumenduftende Luft, dazwischen an- und abschwellendes
     Vogelgezwitscher, das sich anhört, als gäbe es etwas zu feiern. Plötzlich habe ich den Eindruck, irgendwo den fernen Geruch
     einer Schulkantine wahrzunehmen, der durch alles andere hindurchschneidet wie eine rostige Axt. Einen Moment lang glaube ich
     auch, spielende Kinder zu hören.
    Mac kommt mit einem Clipboard in der Hand zurück.
    «Du bist in der alten Scheune», sagt er. «Nicht ganz so nobel wie im Haupthaus, aber immerhin ist es ruhig dort.»
    «Gut», sage ich, weil mir nichts anderes einfällt. «Danke.»
    Als wir weiter den Kiespfad entlanggehen, die Stallungen passieren und uns dem zweiten kleinen Verkehrskreisel nähern, wird
     der Geruch nach Schulkantine stärker, ebenso wie der Kinderlärm. Stirnrunzelnd versuche ich, genauer hinzuhören. Es sind eindeutig
     Kinder hier. Klassischer Pausenhoflärm, den ich überall erkennen würde.
    «Unser Kids-Labor», sagt Mac.
    «Wie bitte?»
    «Die Geräusche, die du da hörst. Das ist unser Kids-Labor. Momentan haben wir etwa fünfzig Kinder hier. Fokusgruppenbeobachtung,
     Forschung. Ist doch der ideale Ort für so was, oder? Wahrscheinlich lernt ihr demnächst auch ein paar von den Kindern kennen.
     Sie arbeiten gerade mit dem Spieleteam, das, wie du sicher weißt, inzwischen permanent hier im Dartmoor stationiert ist.»
    Das wusste ich nicht. Ich dachte, die Spieleleute wären alle in Berkshire.
    «Videospiele?», frage ich unsicher.
    Mac lacht. «Oh nein. Richtige, aktive Mannschaftsspiele in Echtzeit. Fußball, Hockey, Cricket, Paintball. Gerade entwickeln
     wir sogar ein neues Spiel. Wir haben eine Sporthalle und ein Spielfeld hier, gleich da um die Ecke.» Er deutet nach rechts.
    Ich frage mich, wen genau er mit «wir» meint.
Wir entwickeln ein neues Spiel
. Ist das ein generelles PopCo-Wir, oder ist Mac tatsächlich selbst an der Entwicklung beteiligt? Nach allem, was man hört,
     ist das hier ja sein Landsitz, den die Firma ihm zahlt. Ob er seine Wochenenden hier verbringt und sich mit bodenständigen
     Outdoor-Projekten amüsiert? Ist er überhaupt der Mannschaftssporttyp? Ich könnte schwören, dass er Cricket spielt. Ich kann
     ihn mir gut als Fast Bowler vorstellen, der seine Wickets mit bedächtigen, wohlplatzierten Würfen erzielt.
    «Das ist wirklich ein unglaublicher Ort hier», sage ich und meine es sogar ernst, obwohl ich natürlich vor allem höflich sein
     will.
    «Dabei hast du noch nicht einmal die Hälfte davon gesehen. Früher war es ein Internat, aber das hast du dir sicher schon gedacht,
     oder?»
    Nein, aber ich bin auch wirklich müde. Ich gebe keine Antwort.
     
    Endlich allein. Mac ist fort, und ich stehe in einer Art Schlafsaal in der umgebauten Scheune. Im Zimmer befinden sich vier
     Betten, die durch unstabil wirkende blaue Wandschirme voneinander getrennt sind. Ich nehme das Bett am hinteren Ende des Zimmers,
     direkt am Fenster, und lege zögernd meinen Koffer darauf. Der Gedanke, ein Zimmer mit anderen Leuten teilen zu müssen, behagt
     mir gar nicht, und ich klammere mich an die unsinnige Hoffnung, dass vielleicht sonst keiner mehr kommt. Die Bodendielen unter
     meinen Füßen glänzen dunkel. Neben jedem Bett steht ein kleiner Nachtschrank, wie im Krankenhaus, obwohl sie alle unterschiedlich
     aussehen. Meiner ist mit einer kleinen Lampe versehen, hat drei Schubladen und darüber ein offenes Fach und ist aus ähnlich
     dunklem Holz wie der Fußboden. Ich setze mich auf das Bett. Der blaue Wandschirm verstärkt die Krankenhausatmosphäre nur noch,
     und ich fühle mich, als müsste ich gleich untersucht werden. Am liebsten würde ich etwas schlafen, aber ich bin noch zu wenig
     vertraut mit der Umgebung, um mein Bewusstsein freiwillig auszuschalten.
    Das Wasser in meiner Thermosflasche ist nicht mehr besonders heiß, aber ich mache mir trotzdem einen Kamillentee. Dann drehe
     ich mir eine Zigarette, rauche sie am offenen Fenster und trinke dabei meinen Tee. Ich habe kein Bedürfnis mehr nach der Notfallschokolade
     und auch nicht nach Herumtobenund Feiern. Schwer zu sagen, was ich jetzt tun soll. Eigentlich will ich das Zimmer nicht verlassen, um nicht noch einmal
     Mac über den Weg zu laufen. Was sollte ich auch zu ihm sagen? Unser einzig mögliches

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