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PopCo

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Titel: PopCo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scarlett Thomas
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Leben in einer Art ewigem Kreislauf vorangeht. Kinder und Magie, Alter und Schwachsinn. Wahrscheinlich geht es in beiden
     Fällen um Todesnähe. Kinder erkennen böse Taten und böse Menschen. Sie sehen den Tod in den Augen der Leute. Und in ihren
     Träumen laufen sie vor ihm davon. Aber wohin? Ins Erwachsensein? Wo sie dann töten, statt getötet zu werden; jagen, statt
     Opfer zu sein, in der Mitte dieses großen Kreislaufs, wo man sich sicher fühlt vor dem, was an beiden Enden wartet.
    Marken, Marken, Marken. (Ein Kind ist täglich durchschnittlich achttausend Markennamen ausgesetzt, und ich würde die Hälfte
     davon problemlos in zwei Stunden zusammenkriegen.) Ein kleiner Buchladen. Ein traditionelles Kaufhaus, das mich an Weihnachten
     denken lässt. Aber wo könnte man sich hier verstecken? Ganz sicher nicht in einer Seitenstraße oder einem Ladeneingang. Seit
     einigen Wochen denke ich eher daran, wie man einen improvisierten Unterstand baut, sich trockenes Gras unter die Kleider stopft,
     um sich warm zu halten, und wie man Wasser sammeln und filtern kann. Plötzlich wird mir klar, dass ich Gras unter den Füßen
     spüren möchte. Ich gehe weiter.
    Nachdem ich eine Zeitlang herumgeirrt bin, komme ich zu einem Sportplatz mit zwei altersschwachen Cricket-Netzen.Auf dem abgetretenen grünen Kunstrasen finden sich relativ frische Kreidemarkierungen. Einen Augenblick lang muss ich daran
     denken, wie mir mein Großvater in unserem kleinen Garten bei Cambridge den Leg-Spin beigebracht hat. Die Eltern der Kinder,
     die auf diesem Platz spielen, sind sicher nicht viel älter als ich: schicke Jogginganzüge, Markenlogos, Designersonnenbrillen,
     Bürojobs. Aber ich fühle mich immer noch wie ein Kind, dessen Großvater in den Kleidern Cricket spielte, die er gerade am
     Leib trug, und dabei noch Pfeife rauchte. Das Netz zwischen den beiden Übungs-Wickets hat ein großes Loch und flattert leicht
     im Wind. Ich muss an Moskitonetze denken und an Kinder, die in wärmeren Ländern von zu Hause ausreißen. Ob sich meine Notfallausrüstung
     auch für andere Klimazonen eignen würde? Überlebt es sich leichter, wenn es wärmer ist? Möglich, wobei dann natürlich die
     Gefahr des Verdurstens steigt. In der Kälte kann man dafür erfrieren. Mein Produkt wird den Kampf gegen beides als Riesenspaß
     präsentieren müssen.
    Ich kann das Wort «Produkt» nicht ausstehen. Und ich habe tatsächlich Ideen, wenn auch keine besonders guten. Bin ich wirklich
     nur hier, um auf Ideen zu kommen? Doch. Ja. Bin ich. Ich bin ganz sicher nicht hergekommen, weil ich mitten in der Nacht,
     allein in einer fremden Stadt, nichts Besseres zu tun hätte. Seufzend lasse ich mich auf dem trockensten Fleck Rasen nieder,
     den ich finden kann, und mache meine Tasche auf. Ich gieße mir eine Tasse heißes Wasser aus der Thermosflasche ein, stelle
     sie auf den Boden und streue eine Prise grünen Tee hinein. Dann nehme ich ein Päckchen Zigarettenpapier heraus, fülle eine
     noch kleinere Prise braunen Tabak in eins der Blättchen, füge einen Filter hinzu und drehe mir eine Zigarette, die ich mir
     zwischen die Lippen schiebe und anzünde.
Schau dich bloß nicht von außen an. Stell dir nicht vor, was andere Leute sehen würden. Du sitzt mitten in der Nacht in einer
     Kleinstadt auf
einem Cricketfeld und trinkst Tee. Da ist doch weiter nichts dabei.
Und dennoch bin ich eine Abnormität. Eine Nacht-Drogistin, die sich nur von Blättern ernährt, grüne Blätter trinkt und braune
     Blätter raucht. So sehe ich der Sonne mit ihren milchig-orangen Eis-am-Stiel-Fingern beim Aufgehen zu, und dann mache ich
     mich auf den Weg zurück zum Bahnhof, um mit dem Taxi nach Hare Hall zu fahren, mit einem kurzen Zwischenstopp in einem nicht
     weiter erwähnenswerten Frühstückscafé. Ich werde niemandem erzählen, wie ich diese Nacht verbracht habe. Vor mir selbst werde
     ich es als Arbeit rechtfertigen.

KAPITEL DREI
    Das Moor verblüfft mich. Es ist Wildnis, eine waschechte Wildnis, in der man sich ohne weiteres verlaufen und erfrieren kann.
     Ringsum sieht man einige Anhöhen mit verfallenen Steinbauten darauf. Festungen? Alte Wohnhäuser? Das werde ich noch herausfinden.
     Dann Nebel, massenhaft Nebel und ein beständiger Nieselregen, der mich an durchsichtige Schirme und Duschhauben denken lässt.
     Ein Weiderost, ein Schild mit der Aufschrift «Achtsam sein, an mo(o)rgen denken», dahinter ein paar große, zottelige Kühe
     und ein weiterer Weiderost.

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