PopCo
mit mir? Wenn er mich jetzt anspricht, kann ich ihn vielleicht bitten,
sie mir noch einmal zu geben, nur für alle Fälle. Doch er bleibt nicht einmal stehen. Er wirft mir nur einen eigenartigen
Blick zu, gefolgt von einem etwas traurigen Lächeln, dann dreht er den Kopf weg und geht weiter. Auch recht. Wahrscheinlich
kann sich jeder nur bis zu einem gewissen Grad verausgaben, bevor er genug hat und aufgibt. Alan Turing mag ja festgestellt
haben, dass manche Programme ewig weiterlaufen, aber dieses hier wurde ganz offensichtlich beendet. Kann man Liebe einfach
so beenden? Scheiße. Was denke ich da eigentlich? Ich muss wirklich krank sein.
Mein Magen hüpft wieder und findet dann nicht mehr in seine angestammte Position zurück. Ich flüstere es in den Wald hinein:
Ich liebe ihn. Verdammt, ich liebe ihn. Ich bin verliebt in Georges Celéri.
Plötzlich würde ich am liebsten losheulen. Okay. Ganz ruhig, Alice. Das war ein bisschen laut für ein Flüstern. Ja, ja, schon
klar, die große Offenbarung; mag ja sein, dass ich wirklich in ihn verliebt bin, aber ich werde nie, niemals einenSchritt in seine Richtung unternehmen. Ich bin doch nur eine kleine Kreative, die kaum ihre Hypothek abbezahlen kann. Er ist
stinkreich. In einem kitschigen Liebesroman wären wir das ideale Paar. Aber das hier ist das richtige Leben, und ich bin nun
mal nicht käuflich. Natürlich war es schön, mit Georges über Bücher und Musik zu reden, und als ich ihm in die Augen sah,
hatte ich ein ganz unbeschreibliches Gefühl, als wären wir die beiden fehlenden Teile eines uralten Puzzlespiels. Ja, zugegeben.
Das habe ich empfunden. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich in seine Welt passen würde. Was sollte ich auch tun? Nach
New York ziehen und lernen, welches Besteck man zu welchem Gang verwendet? Meine Tage bei der Maniküre und in Kunstgalerien
verbringen? Das wäre doch völlig absurd. Vielleicht würde er ja auch zu mir ziehen und ein bisschen Boheme spielen, bis wir
irgendwann so ein Gespräch führen würden, das mit den Worten «Weißt du, Schatz, ich …» beginnt und in dessen Verlauf er versuchen würde, mich doch zur ersten Option zu überreden. «Alle meine Freunde sind in
New York», würde er sagen, und dann würde er darauf verweisen, dass ich in London schließlich kaum Freunde hätte, was ja auch
beinahe stimmt, und alles würde den Bach runtergehen. Mein Leben muss ihm vorkommen wie eine Kurzgeschichte oder ein Haiku
zum Thema Verlust.
Komm doch zu mir, Schatz, in meine mehrbändige Saga mit Ledereinband
. Nein! Niemals!
Vielleicht will er auch einfach nur mit mir ins Bett und nichts weiter. Aber falls das so ist, will ich es lieber gar nicht
wissen.
Außerdem würde das auch kein Mensch verstehen. Alle sind immer nur genervt von Georges. Bin ich wirklich die Einzige, die
sein Charisma bemerkt? Vielleicht fühlen die anderen sich ja nur davon eingeschüchtert. Ich begreife doch auch nicht, wieso
ich überhaupt in ihn verliebt bin. Das muss aufhören. Im Augenblick ist Ben der Richtige für mich. Vielleicht ist esnur Sex – aber immerhin richtig guter Sex, und genau das brauche ich jetzt. Wir stellen keine Ansprüche aneinander. Es gibt
keine Versprechungen, die wir irgendwann brechen müssten. Wahrscheinlich bewohnt Ben ein Zimmer in einer WG im Zentrum von
Reading, und neben seinem Bett, das bestimmt nur aus einer Matratze auf dem Fußboden besteht, stapeln sich gebrauchte Kaffeetassen
und Science-Fiction-Romane. Wenn all seine Habseligkeiten auf einer Auktion versteigert würden, käme er damit kaum auf den
Betrag, den Georges für ein Abendessen ausgibt. Warum denke ich eigentlich solche Sachen? Es ist mir fast peinlich, mich bei
diesen Gedanken zu erwischen. Liebe kann doch nicht darin bestehen, sich zwei Männer zu suchen und dann mit dem ärmeren von
beiden ins Bett zu gehen. Ich weiß ja nicht mal, ob Ben tatsächlich arm ist. Aber er wirkt schon ein bisschen ausgemergelt.
Und er trägt Secondhandjacken.
Außerdem hat Georges mit Sicherheit eine riesige Familie, haufenweise reizende, warmherzige Verwandte in Frankreich und Japan
und New York. Ich sehe mich schon mit teurem Kopftuch und vielleicht noch mit einem kleinen Schoßhund auf einer großen, glänzenden
Jacht, unterwegs, um Mama und Papa sowie diverse Cousinen und Tanten kennenzulernen. Und das mir, einem Waisenkind ohne Anhang.
Ich kann zu diesem Phantasieleben nichts beitragen. Leute wie
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